Yukos-Verfahren in der nächsten Runde

Recht Russland

Das Schiedsurteil im Yukos-Verfahren, das Russland zur Zahlung von 50 Mrd. USD verpflichtet hat, wurde vom Bezirksgericht in Den Haag für unwirksam erklärt. Nunmehr hat das Berufungsgericht dieses Urteil aufgehoben.

Am 2. Juni 2014 hatte der internationale Schiedsgerichtshof der Klage von Yukos – Altaktionären gegen die Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Zerschlagung des Yukos–Konzerns im Jahre 2006 stattgegeben und Russland auf der Grundlage des Art. 26 des Energie-Charta Treaty (ECT) zur Zahlung einer Schadensersatzsumme wegen einer entschädigungslosen Enteignung in Hohe von 50 Mrd. USD verurteilt. Gegen diesen Schiedsspruch hatte die Russische Föderation vor dem staatlichen Bezirksgericht Den Haag eine Klage auf Aufhebung gemäß Art. 1065 NL Civil Procedure Code erhoben. Danach kann ein Schiedsurteil u.a. dann aufgehoben werden, wenn es an einer gültigen Schiedsvereinbarung fehlt oder das Schiedsurteil inhaltlich oder in seinem Verfahren gegen den ordre public verstößt.  

Das Bezirksgericht hatte das Schiedsurteil aufgehoben und seine Entscheidung mit der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts begründet. Nach seiner Auffassung war die Ratifikation des ECT allein durch den Ministerpräsidenten der Russischen Föderation ohne nachfolgende Bestätigung durch das Russische Parlament nicht geeignet, die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts zur Lösung von Streitigkeiten auf der Grundlagen des ECT zu begründen.[1]       

Kern des Problems ist hier Art. 45 ECT, der eine ‚vorläufige Anwendbarkeit’ der Bestimmungen des Vertrages auch ohne Bestätigung des Vertrages durch das Parlament insoweit vorschreibt, als inländische Vorschriften nicht entgegen stehen. Das Bezirksgericht hatte solche entgegenstehenden Vorschriften in der russischen Investitionsgesetzgebung gesehen, aufgrund derer solche Streitigkeiten nur im konkreten Fall der Entscheidung durch ein Schiedsgericht übertragen werden dürfen.    

Mit Urteil vom 18.02.2020 hat das Berufungsgericht den Haag dieses Urteil aufgehoben und das ursprüngliche Schiedsurteil wieder in Kraft gesetzt.[2] Dabei setzt es sich zunächst eingehend mit der Frage der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auseinander. Anders als das Bezirksgericht folgt das Berufungsgericht der von den Klägern vertretenen Auffassung, wonach es bei dem in Art. 45 ECT vorausgesetzten Widerspruch nicht auf eine solchen zu einzelnen Bestimmungen, sondern zu dem ECT insgesamt ankommt (‚alles oder nichts’). Ein solcher Widerspruch insgesamt bestehe aber nicht, so dass es auf die abweichende Regelung des russischen Rechts zur Schiedsfähigkeit von Investitionsstreitigkeiten nicht ankomme.

Nachdem das Berufungsgericht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bejaht hat, prüft es die weiteren von der Russischen Föderation vorgebrachten Gründe für eine Unwirksamkeit des Schiedsurteils. Zentrales Argument war hier, dass der ECT auf den vorliegenden Fall keine Anwendung finde, weil es sich bei den Klägern nicht um ausländische Investoren handele, die Geld in Russland investiert hätten, sondern um russische Staatsbürger, die im Zuge der Privatisierung auf zweifelhaftem Wege das Eigentum an dem Unternehmen erlangt und nur zum Schein Gesellschaften im Ausland gegründet hätten. Während sich das Bezirksgericht mit diesen Fragen nicht weiter auseinandergesetzt hatte, werden sie vom Berufungsgericht abschlägig beschieden. Es folgt der eng am Wortlaut orientierten Auslegung des Begriffs der ‚Investition’ und des ‚Investors’ und kann auch keinen Anwendungsfall der Theorie der ‚clean hands’ ausmachen, der zufolge nur derjenige Rechtsschutz beanspruchen darf, der sich selber rechtstreu verhalten habe.   

Trotz seiner umfangreichen Begründung kann das Urteil des Berufungsgerichts nicht überzeugen. Dabei geht es nicht die rechtliche Bewertung der Zerschlagung von Yukos. Dazu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eindeutig Stellung bezogen.[3]  Hier geht es zum einen um die Frage des Völkervertragsrechts, welche Reichweite die ’vorläufige Anwendbarkeit’ von internationalen Verträgen hat. In der Auslegung des Berufungsgerichts erwächst aufgrund dieser Bestimmung dem Vertreter eines Staates die Befugnis, völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, die der internen Rechtsordnung widersprechen. Solch weitreichende Folgen aus einer Auslegung des Wortes ‚to the extent of’ (‚soweit’) herzuleiten, erscheint verfehlt und steht im Widerspruch zum Gebot der Klarheit. Zum anderen geht es um die Frage, ob der Energy Charter Treaty dazu bestimmt ist, nationale Streitigkeiten vor dem Hintergrund einer Systemtransformation zu lösen. Nach hier vertretener Auffassung ist das nicht der Fall.[4]  Schließlich vermag das Urteil auch in methodischer Hinsicht nicht zu überzeugen, weil das Gericht bei der Auslegung des Begriffs ’Investor’ und ‚Investition’ sich eng an den Wortlaut anlehnt, während bei der Auslegung des Begriffes ‚soweit’ alle Register der Auslegungskunst gezogen werden. Dieser Wechsel der methodischen Herangehensweise erscheint inkonsistent, um nicht den Begriff willkürlich zu gebrauchen.    

Die Russische Föderation hat Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts eingelegt, so dass der Fall abschließend vom obersten Gericht der Niederlande, dem Hoge Raad, entschieden werden wird.  

[1] Schramm, Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im Yukos-Verfahren auf, SchiedsVZ 2016, 314.

[2] Urteil des Berufungsgerichts Den Haag (in niederländischer Sprache)

https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id=ECLI:NL:GHDHA:2020:234.

[3] OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos v. Russia,

  •        https://hudoc.echr.coe.int/eng#{"itemid":["001-106308"]}
  •        https://hudoc.echr.coe.int/eng#{"itemid":["001-145730"]}

[4]Schramm, Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im Yukos-Verfahren auf, SchiedsVZ 2016, 314.

Fotoquelle: www.vistanews.ru

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