Was aus dem Gesetzentwurf über die Telearbeit ausgeklammert wurde

Recht Russland

Dr. Vera Giryaeva, Rödl & Partner

Am 16. Juni 2020 wurde in die Staatsduma der Entwurf des Föderalen Gesetzes „Über die Einbringung von Änderungen in das Arbeitsgesetzbuch der Russischen Föderation in Bezug auf die Regulierung der Telearbeit“ (Nr. 973264-7) eingebracht, der die Änderung des Kapitels 49.1 des russischen Arbeitsgesetzbuchs (nachfolgend ArbGB RF) vorsieht.  

Eine wichtige Änderung ist in der neuen Fassung des Artikels 312.2 „Besonderheiten des Abschlusses und der Änderung der Bedingungen des Arbeitsvertrags über die Telearbeit“ enthalten. Der Gesetzgeber schlägt vor, den Parteien zu erlauben, im Arbeitsvertrag über die Telearbeit den Ort der Ausübung der Arbeitsfunktion durch den Arbeitnehmer nicht anzugeben. Somit ist die Bedingung über den Arbeitsplatz, die durch Artikel 57 ArbGB RF vorgesehen ist, für die Arbeitsverträge über die Telearbeit und für die Bestimmungen über die Telearbeit in den Arbeitsverträgen über die «gemischte» Beschäftigungsform (teilweise Telearbeit, teilweise Arbeit am stationären Arbeitsplatz) nicht mehr obligatorisch.

Die Änderung im Artikel 312.2 ArbGB RF muss unserer Meinung nach zu einer Reihe von Änderungen in den bestehenden Normen des ArbGB RF und untergesetzlichen Akten führen, ohne die der Arbeitgeber in eine rechtliche Unbestimmtheit geraten wird, die u.a. arbeitsrechtliche Gerichtsstreitigkeiten auslösen kann. Hier sind einige Situationen aus unserer Praxis, für deren Lösung unserer Ansicht nach eine zusätzliche Regulierung erforderlich ist:

(1) Wenn der Ort der Ausübung der Arbeitsfunktion durch den Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag über die Telearbeit festgelegt ist und der Arbeitnehmer seine Funktionen in Regionen ausübt, in denen regionale Zuschläge und Koeffizienten anzuwenden sind (z.B. in den Bezirken im äußersten Norden), müssen dem Arbeitnehmer die entsprechenden Zuschläge und Koeffizienten ausgezahlt werden. Im Zusammenhang mit der Festlegung des Rechts des Arbeitnehmers, den Ort der Ausübung seiner Arbeitsfunktion selbstständig zu wählen und zu ändern, ohne den Arbeitgeber zu benachrichtigen, ist es sinnvoll, in Kapitel 49.1 ArbGB RF eine Bestimmung über die Unanwendbarkeit der Artikel 148, 315, 316 ArbGB RF auf Arbeitsverträge über Telearbeit einzubringen.

(2) Im Zusammenhang mit der Festlegung des Rechts des Arbeitnehmers, den Ort der Ausübung seiner Arbeitsfunktion selbstständig zu wählen und zu ändern, ohne den Arbeitgeber zu benachrichtigen, wäre auch die Festlegung einer Bestimmung über den Ausschluss der Verträge über die Telearbeit aus der Wirkung der arbeitsrechtlichen Normen über die Regulierung von Betriebsunfällen (Art. 227-231 ArbGB RF) im ArbGB RF gerechtfertigt. In Bezug auf die durch den Gesetzentwurf eingeführte gemischte Beschäftigungsform (teilweise Telearbeit, teilweise Arbeit am stationären Arbeitsplatz) ist die Einführung einer Bestimmung über die Anwendung von Artikeln 227-231 ArbGB RF nur auf die Unfälle am stationären Arbeitsplatz am Standort des Arbeitgebers sinnvoll.

 

(3) Der Arbeitgeber kann auch bestimmte Schwierigkeiten beim Postversand der Korrespondenz an den Telearbeiter haben, wenn dessen Ort der Ausübung der Arbeitsfunktion unbekannt ist. Unserer Meinung nach ist es zweckmäßig, im ArbGB RF die Pflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber die Adresse mitzuteilen, an die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Dokumente in Schriftform versenden kann, sowie die Annahme des Erhalts der vom Arbeitgeber an diese Adresse versendeten Dokumente durch den Arbeitnehmer festzulegen.

 

Der Gesetzentwurf über die Einbringung von Änderungen in Kapitel 49.1 ArbGB RF sieht auch eine Änderung im Artikel 312.5 vor. Zurzeit können die Parteien gemäß diesem Artikel zusätzliche Grundlagen für die Kündigung des Telearbeitnehmers auf Initiative des Arbeitgebers im Arbeitsvertrag über die Telearbeit vereinbaren. Die Rechtsprechung auf Grundlage dieses Artikels weist Gerichtsbeschlüsse auf, in denen Kündigungen im Zusammenhang mit der „Ineffizienz der Arbeit des Arbeitnehmers“ (Berufungsentscheid des Moskauer Stadtgerichts vom 24.05.2017 in der Sache Nr. 33-19873/2017) und „dem Beschluss des Unternehmens über die Kündigung des Arbeitsvertrags mit der vorherigen Benachrichtigung des Arbeitnehmers und Auszahlung einer Abfindung“ (Berufungsentscheid des Moskauer Stadtgerichts vom 20.05.2020 in der Sache Nr. 33-13707/2020) für rechtmäßig erklärt werden.

 

Der Gesetzgeber schlägt vor, das Recht des Arbeitgebers auf Kündigung des Telearbeitnehmers auf die durch das ArbGB RF vorgesehenen Grundlagen zu beschränken. Unserer Meinung nach ist Artikel 312.5 ArbGB RF in der bestehenden Fassung diskriminierend und muss geändert werden. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass der Arbeitgeber deutlich weniger Möglichkeiten für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen Telearbeitnehmer als gegen „stationäre“ Arbeitnehmer hat. In erster Linie handelt es sich um die praktische Unmöglichkeit der Kündigung des Telearbeitnehmers aufgrund des unerlaubten Fernbleibens. Zurzeit kann im Arbeitsvertrag über die Telearbeit gemäß dem gültigen Artikel 312.5 ArbGB RF z.B. fehlende Antworten auf E-Mails des Arbeitgebers während des gesamten Arbeitstages ohne triftigen Grund als Grundlage für die Kündigung auf Initiative des Arbeitgebers vorgesehen werden.    

 

Nach der Einbringung der Änderungen in Kapitel 49.1 ArbGB RF wird eine solche Bestimmung im Arbeitsvertrag unmöglich sein. Das Problem der Arbeitsdisziplin der Telearbeitnehmer bleibt jedoch bestehen und wird mit der steigenden Anzahl der Verträge über die Telearbeit sogar wachsen. Wenn der Gesetzgeber kein spezielles Verfahren zur Kündigung des Telearbeitnehmers festlegen wird, wie es für die Kündigung des „stationären“ Arbeitnehmers aufgrund des unerlaubten Fernbleibens vorgesehen ist, wird der Arbeitgeber die Frage der Arbeitsdisziplin lösen müssen, z.B. durch die vertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Vorlage täglicher Berichte über seine Tätigkeit und die Nutzung der Möglichkeiten von Punkt 5, Teil 1, Artikel 81 ArbGB RF (Kündigung wegen mehrmaliger Nichterfüllung der Arbeitspflichten des Arbeitnehmers ohne wichtigen Grund, wenn gegen ihn eine Disziplinarmaßnahme verhängt wurde) im Falle deren Nichtvorlage.

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