Schutz der Unternehmer vor Übergriffen der Staatsmacht

Recht Russland

In den letzten zwei Jahren wurden in Russland eine Reihe von Gesetze beschlossen, die auf die Liberalisierung des Strafrechts im Wirtschaftsbereich gerichtet sind. Trotz positiver Anzeichen hätte nach Einschätzungen von Experten der Effekt erheblicher sein können.

Ende 2015 hat der russische Präsident W. Putin bei seiner Ansprache an die föderale Versammlung betont, dass die überflüssige Aktivität der Strafverfolgungsbehörden das Wirtschaftsklima in Russland beeinträchtigt. So seien nur 15 % der eingeleiteten Verfahren über Straftaten im Wirtschaftsbereich mit einem Gerichtsurteil beendet gewesen. 83 % der betroffenen Unternehmer haben jedoch vollkommen oder teilweise ihr Business verloren. Das Ziel der Strafverfolgung sei nach Meinung des Präsidenten nur Erpressung gewesen.

Zur Verbesserung dieser Situation hat der Präsident 2016 eine Arbeitsgruppe gegründet, deren Mitglieder Vertreter der präsidialen Administration, der Strafverfolgungsbehörden und Geschäftsführer der führenden Unternehmerorganisationen. Die Arbeitsgruppe hat einige Gesetzentwürfe zur Unterstützung von Unternehmern ausgearbeitet. Einige Gesetzänderungen hat der Präsident bereits im Sommer 2016 unterzeichnet. Darunter wurden folgende Änderungen beschlossen:

1) Geldbuße statt Strafverfolgung. Der Unternehmer wird von der Strafverfolgung befreit, falls er zum ersten Mal eine Tat im Wirtschaftsbereich begangen und den dadurch entstandenen Schaden dem Staat ersetzt hatte. Die Liste der Tatbestände, bei deren Verwirklichung Unternehmer von der Strafverfolgung befreit werden können, ist ziemlich breit, von der Wettbewerbsbeschränkung und Marktmanipulierung bis zur vorsätzlichen Herbeiführung der Insolvenz bzw. Scheininsolvenz. Die zu zahlende Geldstrafe beträgt das Zweifache des entstandenen Schadens bzw. des durch die Tat erhaltenen Gewinns;  

2) Erhöhung der Schadensbeträge, die die straferhöhende Qualifikation begründen, für den Schaden im großen Umfang von 1,5 auf 2,25 Mio. Rubel, für den Schaden im besonders großen Umfang - von 6 auf 9 Mio. Rubel;  

3) Erhöhung des minimalen Betrages, der für die Einleitung des Verfahrens gegen Unternehmer wegen Steuerhinterziehung erforderlich ist, von 2 auf 5 Mio. Rubel;

4) Einführung des Rechts der verhafteten Unternehmer auf uneingeschränkte Besuche von Notaren in der Untersuchungshaft, damit diese Vollmachten und die anderen für die Geschäftsführung erforderliche Dokumente verfassen können.

Zur Verschärfung der Haftung der Beamten wegen unbegründeter Strafverfolgung von Unternehmern wurden Änderungen in Art. 299 russ. StGB eingeführt. Die maximale Freiheitsstrafe wurde von 5 auf 7 Jahre erhöht, in besonders schweren Fällen (z.B. Verlust des Business wegen der Strafverfolgung) ist die Freiheitstrafe von 5 bis 10 Jahren vorgesehen.

Das Plenum des Obersten Gerichts hat in seinem Beschluss die für die Strafverfolgungsbehörden obligatorischen Anweisungen gegeben, wie der Betrug bei unternehmerischen Aktivitäten von der Führung von Geschäften auf eigenes Risiko zu unterscheiden ist.  Der Beschluss sollte außerdem die Unternehmer vor Umqualifizierung der Taten im Wirtschaftsbereich in den „einfachen“ Betrug schützen, die solche Umqualifizierung schließt den besonderen Status der beschuldigten Unternehmer sowie eine Reihe von Garantien aus und erleichterte den Druck auf die Unternehmer.

Die getroffenen Maßnahmen hatten 2017 positive Ergebnisse gezeigt. Nach Angaben des Business-Obmanns ist die Zahl der gegen Unternehmer eingeleiteten Verfahren langsam zurückgegangen. Die Zahl der verhafteten Unternehmer ist in der zweiten Hälfte 2016 um 23 % gesunken. Nach Angaben des russischen Generalstaatsanwalts (Stand: Anfang 2017) ist in den letzten 5 Jahren die Zahl der wegen Taten im Wirtschaftsbereich verurteilten Personen um das 4-fache gesunken.

Des Weiteren hat das Oberste Gericht einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der Maßnahmen gegen die rechtswidrige Umqualifizierung der Taten im Wirtschaftsbereich in die „allgemeinen“ Straftaten sowie die unbegründete Haft, insbesondere die unbegründete Fristverlängerung vorsehen. Die Staatsduma hat diesen Gesetzentwurf bereits in der ersten Lesung beschlossen.

2018 haben Experten jedoch auf Grundlage der gerichtlichen und Innenministeriumsstatistik festgestellt, dass die Zahl der gegen Unternehmer eingeleiteten Verfahren weiter wächst, wobei die Akten mit Anklageschrift ins Gericht nur in 20 % Fällen übergeben werden.

Gründe dafür, dass die Liberalisierung nicht die erwarteten Ergebnisse hat, sind nach Meinung der praktizierenden Juristen unterschiedlich. Die einen meinen, dass es zwar die gesetzlichen Normen für die Liberalisierung des Strafrechts im Wirtschaftsbereich gibt, mangelt es jedoch an der entsprechenden Rechtsanwendung. Die anderen sehen den Grund darin, dass die genannten Probleme nicht durch die Schaffung des besonderen Regimes für die Strafverfolgung von Unternehmern zu lösen sind. Es fehlt an einer klaren Begründung dafür, wieso die Unternehmer im Vergleich mit den anderen Bürgern Begünstigungen im Strafrecht haben sollen. Die Milderung des Schicksals von Unternehmern sei keine Aufgabe des Strafrechts.  

Zur Lösung dieser Probleme wird u.a. Folgendes vorgeschlagen:

1) nachhaltige Qualifizierung der Strafverfolgungsbeamten zum Zwecke der Änderung der Wertorientiere, Verzicht auf das System der Bewertung der Effektivität der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden auf Grundlage der Zahl der registrierten und aufgeklärten Straftaten;

2) Aufklärungsarbeit mit Unternehmern und der Bevölkerung. Die Unternehmer sollen ihre sozialen Verpflichtungen bewusst werden, die Bürger sollten aufhören, in den Unternehmern ausschließlich „Diebe“ zu sehen;

3) Es muss eindeutig festgelegt werden, dass die Strafverfolgungsmaßnahmen nur dann zur Anwendung kommen dürfen, wenn der Schutz der verletzten Rechte nicht mit zivilrechtlichen Mitteln möglich ist. Bis dahin würden Szenarien möglich sein, bei denen „im Auftrag“ der interessierten Personen jede Wirtschaftshandlung strafrechtlich verfolgt würde;

4) Es muss eine reale Kontrolle über die Strafverfolgungsbehörden seitens Gerichte aufgebaut werden. Die Staatsanwaltschaft sollte auch ihre alten Aufsichtsbefugnisse zurückerlangen.  

Quelle: https://pravo.ru/story/201886/?desk_tv

Fotoquelle: www.pro-goroda.ru

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