Rückgriff auf russisches Auslandsvermögen zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine?
In zwei Beiträgen in der Zeitschrift Ukraine-Krieg und Recht (UKuR) geht die Generalanwältin am Gerichtshof der EU, Prof. Juliane Kokott, der Frage nach, ob Vermögen des russischen Staates, aber auch das von Privatpersonen, welches sich im Ausland befindet, zur Finanzierung der Kosten des Wiederaufbaus herangezogen werden könnte.[1] Sie untersucht diese Problematik zunächst vor dem Hintergrund des Prinzips der Staatenimmunität, auf den sich Staaten und ihre Amtsträger im Falle einer Anklage vor ausländischen Gerichten berufen könnte. Zwar gälten bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit Ausnahmen von diesem Grundsatz. Diese seien aber nur in einzelnen Entscheidungen anerkannt worden und stellten daher bislang noch kein Völkergewohnheitsrecht dar. Bei Klagen vor dem Internationalen Strafgerichtshof könnten sich die Angeklagten zwar nicht auf Immunität berufen. Die Zuständigkeit dieses Gerichtshofes setze aber eine Unterwerfung des Staates unter die Gerichtsbarkeit voraus, was im Fall Russlands nicht gegeben sei.
Mit Blick auf die Möglichkeiten der Europäischen Union differenziert sie zwischen der Beschlagnahme von Vermögenswerten und ihrer Einziehung. Während die Beschlagnahme von Vermögenswerten als eine restriktive Maßnahme im Rahmen des Art. 215 TFEU in den Zuständigkeitsbereich der EU fallen könne, gebe es für Maßnahmen im Bereich der Strafverfolgung und einer hierauf beruhenden Einziehung von Vermögenswerten bislang keine rechtliche Grundlage. In Betracht komme allein die Befugnis der EU zur Harmonisierung von Vorschriften zur grenzüberschreitenden Verfolgung und Bestrafung von schweren Straftaten gemäß Art. 82, 83 TFEU. Auf diesem Gebiet habe das Europäische Parlament und der Rat unlängst einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie über Vermögensrückführung und Beschlagnahme vorgelegt. [2] Sie beschreibt weiter die Neuerungen, die die Umsetzung dieser Richtlinie mit sich bringen würde, etwa im Bereich der Einziehung von Vermögenswerten auch ohne vorangegangene Verurteilung des Betroffenen. Voraussetzung sei aber bei dem Zugriff auf das Vermögen Dritter, dass diese dritte Person von der Herkunft der Mittel aus einer schweren Straftat gewusst hat oder hätte wissen können. Hier erlaube die Richtlinie einen Rückgriff auf Vermutungen, die zu einer Umkehr der Beweislast führten. Entscheidend sei aber eine Verbindung des Dritten zu einem Verbrechen, das zu verfolgen in die Zuständigkeit der EU falle. Hiervon geht die Verfasserin bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit zwar aufgrund der universellen Zuständigkeit der Gerichte in einem solchen Fall aus. Eine Verbindung des in Anspruch genommenen Eigentümer des Vermögens müsse jedoch in jedem Einzelfall dargetan werden.
Insgesamt kommt die Verfasserin zu einem zurückhaltenden Urteil im Hinblick auf die Möglichkeit, derzeit auf russisches Auslandsvermögen zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine zuzugreifen.
[1] Kokott Financing Ukraine´s reconstruction – Can the EU use Russian assets? Part 1 UKuR 2022, S.438 und Part 2 UKuR 2022, S. 409
[2] Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on asset recovery and confiscation of 25.5.2022, COM(2022) 245 final, 2022/0167(COD)
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