Risikoindikatoren: „highly likely“ Grundlage für Prüfung des Arbeitgebers

Recht Russland

Vera Giryaeva, Rödl & Partner Russland

Gemäß Artikel 23 des Föderalen Gesetzes Nr. 248-FZ „Über die staatliche Kontrolle (Aufsicht) und kommunale Kontrolle in der Russischen Föderation“ teilen die Kontrollbehörden, zu denen auch die Staatliche Arbeitsinspektion (GIT) gehört, alle Arbeitgeber in Schadenrisikogruppen ein. Insgesamt handelt es sich um sechs Gruppen: vom außerordentlich hohen bis zum geringen Risiko. Von der Gruppe, der der Arbeitgeber zugeordnet wird, hängt die Häufigkeit der GIT-Prüfungen ab.

Bei der Beschlussfassung über die Durchführung einer außerplanmäßigen Prüfung und der Bestimmung der Art dieser Prüfung richtet sich die Kontrollbehörde nach den Indikatoren des Risikos der Verstöße gegen die obligatorischen Anforderungen. Der Risikoindikator zeigt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Arbeitnehmerrechte verletzt werden.

Das Verzeichnis der Indikatoren wird durch die föderalen Exekutivbehörden, die Exekutivbehörden der föderalen Subjekte und die kommunalen Vertretungsorgane je nach der Kontrollebene festgelegt.

Das russische Arbeitsministerium hat einen Entwurf der Anordnung „Über die Bestätigung des Verzeichnisses von Indikatoren des Risikos für Verstöße gegen die obligatorischen Anforderungen bei der föderalen staatlichen Kontrolle (Aufsicht) über die Einhaltung der Arbeitsgesetzgebung und sonstiger normativer Rechtsakte, die arbeitsrechtliche Normen enthalten, und des Verfahrens zur deren Feststellung“ vom 20.08.2021 vorbereitet, in dem die Risikoindikatoren aufgelistet sind. Unter den vorgeschlagenen Risikoindikatoren nennt das Arbeitsministerium, zum Beispiel:  Vorliegen von zwei oder mehr in Kraft getretenen Gerichtsakten (Beschlüssen von Kommissionen für arbeitsrechtliche Streitigkeiten) in individuellen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, durch die die Forderungen des Arbeitnehmers vollständig oder teilweise befriedigt wurden; Verweigerung des Beitritts zur Vereinbarung im Rahmen der sozialen Partnerschaft durch den Arbeitgeber; Massenentlassungen von Arbeitnehmern und Kündigung von mindestens 15 % der Arbeitnehmer innerhalb von zwei oder mehr aufeinander folgenden Monaten; Erhöhung der Anzahl von Unfällen im Vergleich zum Vorjahr; Erhöhung der Anzahl eingegangener Beschwerden der Arbeitnehmer und anderer Personen über vermutliche Verstöße in der Tätigkeit des Arbeitgebers im Vergleich zum Vorjahr; eine der tatsächlich ausgeführten Arbeit unangemessene Mitarbeiterzahl; Vorliegen von Warnungen von Rostrud und seiner territorialen Abteilungen über die Unzulässigkeit der Verstöße gegen die obligatorischen Anforderungen, und zwar ab zwei Verstößen pro Monat oder ab drei pro Quartal für kleine und mittelständische Unternehmen, ab fünf pro Monat oder ab acht pro Quartal für große Unternehmen.

Falls die Anordnung des Arbeitsministeriums in dieser Fassung in Kraft tritt, hat der Arbeitgeber auch dann eine außerplanmäßige Prüfung zu erwarten, wenn aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen 15 % seiner Arbeitnehmer in einem Monat auf eigenen Wunsch gekündigt haben. Zum Beispiel stellt ein kleines Unternehmen Studenten der höheren Semester auf Grundlage von Arbeitsverträgen ein. Nach Studienabschluss beschließen die jungen Spezialisten, die 15 % der Arbeitsplätze besetzen, zu kündigen, sich zu erholen und dann andere Arbeitsstellen zu suchen. Hier besteht kein Verschulden des Arbeitgebers, für die GIT ist eine solche Massenkündigung jedoch ein Indikator der wahrscheinlichen Rechtsverletzung und somit eine Grundlage für die Prüfung.

Ein Risikoindikator ist auch die „Erhöhung der Anzahl von Unfällen im Vergleich zum Vorjahr“. Falls im vorigen Jahr sowie seit dem Beginn der Tätigkeit des Unternehmens es nie zu einem Unfall kam und im laufenden Jahr ein Unfall dokumentiert wurde, wenn auch mit milden Folgen, ist eine außerplanmäßige GIT-Prüfung zu erwarten.

Eine besonders unangenehme Überraschung kann für die HR-Spezialisten eine GIT-Prüfung im Zusammenhang mit den erklärten Warnungen sein. Mit der Einführung der SZW-TD-Berichte 2020 erhalten viele Unternehmen Warnungen von den territorialen Abteilungen des Arbeitsministeriums, was mit den Besonderheiten der automatisierten Bearbeitung dieser Berichte im Pensionsfonds und den kurzen Fristen für die Einreichung der Berichte über die Einstellungen und Kündigungen zusammenhängt. Das System der elektronischen Berichterstattung des Pensionsfonds betrachtet jeden Tippfehler z.B. im Namen des Arbeitnehmers als einen tatsächlichen Fehler und übergibt sofort die Informationen an die territorialen Abteilungen des Arbeitsministeriums. Ohne die Situation zu klären, versenden diese dem Arbeitgeber eine Warnung über den möglichen Verstoß gegen die Frist der Einreichung des Berichts, obwohl der Bericht rechtzeitig eingereicht wurde.  Auch wenn der Arbeitgeber den Tippfehler selbst gefunden und korrigiert hat, der Verstoß aber bereits durch den Pensionsfonds beim Arbeitsministerium angezeigt wurde, wird der Arbeitnehmer in jedem Fall eine Warnung erhalten.  Dies bedeutet, dass als Grundlage für die außerplanmäßigen GIT-Prüfungen nicht tatsächliche Verletzungen der Arbeitnehmerrechte, sondern festgestellte und sogar durch den Vertreter des Arbeitgebers selbstständig korrigierte Tippfehler gelten können.

Für die Feststellung der Risikoindikatoren wird das Arbeitsministerium die Informationen aus allen Quellen nutzen, die die Korrektheit dieser Informationen sichern, u.a. aus Informationsressourcen und Massenmedien. Es ist noch schwer zu sagen, wie das Arbeitsministerium mit den Informationsressourcen arbeiten wird, die HR-Spezialisten werden jedoch wahrscheinlich Publikationen in Medien, Blogs und auf den Webseiten mit Arbeitgeberbewertungen verfolgen müssen, um rechtzeitig die Löschung den Tatsachen nicht entsprechender Informationen zu verlangen, und die Arbeitnehmer werden ein neues Druckmittel gegen ihren Arbeitgeber bzw. die Möglichkeit erhalten, diesem nach Kündigung zu schaden.

Fotoquelle: www.portat.ru

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