Parallelimport in Russland erlaubt
Maria Kirilova, Rödl & Partner, Russland
Die russische Regierung hat beschlossen, die Einfuhr von gefragten, im Ausland hergestellten Originalwaren ins Land ohne Zustimmung der Rechteinhaber zu erlauben und die Haftung für den so genannten Parallelimport aufzuheben. Die Änderungen traten am 30. März 2022 in Kraft.
Es ist anzumerken, dass die Frage der Rechtmäßigkeit des Parallel- bzw. Grauimports in Russland lange Zeit ungelöst blieb. In Russland gilt das Prinzip der nationalen Erschöpfung von Rechten, demgemäß der Rechteinhaber alle durch die russische Gesetzgebung über geistiges Eigentum vorgesehenen ausschließlichen Rechte nach der ersten Verbringung der Ware in den zivilrechtlichen Verkehr im Inland durch ihn oder mit seiner Zustimmung verliert (Art. 1487 ZGB RF). Bereits im Jahre 2014 hat der Föderale Antimonopoldienst (FAS) einen Gesetzentwurf über die Legalisierung des Parallelimports ausgearbeitet und einen Übergang zum internationalen Prinzip der Rechtserschöpfung vorgeschlagen, gemäß dem ein ausschließliches Recht als erschöpft gilt, sobald die Erzeugnisse durch den Rechteinhaber oder mit seiner Zustimmung in irgendwelchem Ort der Welt verkauft werden.
Die russische Gesetzgebung sieht die zivilrechtliche und ordnungsrechtliche Haftung für den Parallelimport vor. Somit kann der Rechteinhaber gemäß dem Zivilgesetzbuch von einem „grauen“ Importeur eine Entschädigung in Höhe von 10.000 bis zu 5 Mio. RUB oder in zweifacher Höhe des Werts der eingeführten Waren sowie die Erstattung der Verluste verlangen (Art. 1515 ZGB RF). Die Bußgelder und die Beschlagnahme von Waren, die eine widerrechtliche Verwendung von Individualisierungsmitteln sowie von für deren Herstellung verwendeten Materialien und Anlagen aufweisen, sind auch durch das Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten (Art. 14.10 OWiG RF) vorgesehen.
Jedoch hat das Verfassungsgericht der Russischen Föderation im Februar 2018 tatsächlich den Parallelimport legalisiert und darauf hingewiesen, dass die nach Russland eingeführten Waren aus dem Verkehr gezogen und vernichtet werden können, falls deren minderwertige Qualität festgestellt wird, bzw. zur Gewährleistung der Sicherheit und des Schutzes von Leben und Gesundheit der Menschen, sowie zum Schutz von Umwelt und Kulturgütern. Dabei hat das Verfassungsgericht auf die Notwendigkeit hingewiesen, jeden Einzelfall des Parallelimports auf die Angemessenheit der Anwendung einer bestimmten Haftungsmaßnahme zu prüfen, vor allem ausgehend von der Bewertung des Vorhandenseins oder Fehlens des Schadens, der den gesellschaftlichen Interessen durch den Parallelimport zugefügt wurde. Das Verfassungsgericht hat auch darauf hingewiesen, dass die Anwendung von gleichen Sanktionen für den Parallelimport und den Verkauf der gefälschten Waren unzulässig ist. Diese Position drückte sich unter anderem in der Rechtsprechung aus: Klagen auf Entzug aus dem Verkehr und Vernichtung von Waren, deren Fälschung nicht festgestellt wurde, wurden durch Gerichte abgewiesen.
Im März 2022 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die russische Regierung zur Festlegung der Liste der Erzeugnisse berechtigt, in Bezug auf welche das internationale Prinzip der Erschöpfung der Markenrechte faktisch gilt, wenn diese vom Inhaber in irgendwelchem Ort der Welt verkauft werden. Somit kann eine Reihe von im Ausland hergestellten Originalwaren ohne Zustimmung des Rechteinhabers in die Russische Föderation eingeführt werden. Das Verzeichnis dieser Waren wird durch das Ministerium für Industrie und Handel auf Grundlage von Vorschlägen der föderalen Behörden erstellt, und alle erforderlichen Zoll- und Kontrollverfahren werden in Bezug auf sie durchgeführt. Außerdem unterliegen die Erzeugnisse der Garantieleistung. Wichtig ist zu verstehen, dass der Parallelimport nicht die Legalisierung einer Nachahmung bedeutet. Es handelt sich um die Einfuhr von Originalwaren, die durch den Rechteinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung hergestellt wurden, jedoch über alternative Kanäle. Das Ministerium für Industrie und Handel erläutert, dass der Zweck dieser Maßnahme in der Nivellierung des Risikos einer zivilrechtlichen Haftung von Importeuren seitens der Rechteinhaber besteht, deren Erzeugnisse außer offizieller Vertriebskanäle eingeführt werden. Jedoch werden die Bestimmungen des OWiG RF über die ordnungsrechtliche Haftung für die widerrechtliche Verwendung von Individualisierungsmitteln der Waren durch den Regierungserlass nicht aufgehoben.
Es wird erwartet, dass der gefasste Beschluss in Zeiten externer Einschränkungen helfen wird, den Binnenmarkt mit gefragten Waren zu versorgen und die Preise dieser Waren zu stabilisieren. Gleichzeitig ist der FAS der Ansicht, dass der Parallelimport nicht angewendet werden muss, wenn der Rechteinhaber oder andere Personen mit seiner Zustimmung die ununterbrochene Herstellung von Waren in Russland lokalisiert und sichergestellt haben.
Foto: M. Jozwiak