NGO-Gesetzgebung verschärft
NGO-Gesetzgebung verschärft
Aufgrund einer Ergänzung bestehender Vorschriften, insbesondere des aus dem Jahr 2012 stammenden Gesetzes „Über Maßnahmen der Einwirkung auf Personen, die an Verletzungen der grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten, der Rechte und Freiheiten der russischen Staatsangehörigen teilnahmen“ist es russischen Behörden nunmehr möglich, ausländische Nichtregierungsorganisationen für ‚unerwünscht‘ zu erklären. Voraussetzung dafür ist eine Bedrohung der Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung, der Verteidigungsfähigkeit des Landes oder der Sicherheit des Staates. Die Zuständigkeit liegt in den Händen der Staatsanwaltschaft, die hierüber in Verbindung mit weiteren Behörden entscheidet. Verknüpft wird die Feststellung der Unerwünschtheit mit dem Gebot der Einstellung der Tätigkeit und der Androhung von Sanktionen für den Fall der Zuwiderhandlung. Mit dieser Vorschrift und weiteren Ergänzungen werden einerseits die Voraussetzungen für die Beschränkung der Tätigkeit von NGOs spezifiziert, andererseits die Strafdrohungen verschärft.
1. Hintergrund
In Reaktion auf den amerikanischen sog. Magnitzkij-Act, der Sanktionen gegen russische Beamte vorsieht, die an der Strafverfolgung von Sergeij Magnitzkij beteiligt waren,[1] war in der Russischen Föderation am 28.12.2012 das Föderale Gesetz Nr. 272 „Über Maßnahmen der Einwirkung auf Personen, die an Verletzungen der grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten, der Rechte und Freiheiten der russischen Staatsangehörigen teilnahmen“ erlassen worden. Dieses Gesetz enthält u.a. die Rechtsgrundlage, die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen, die sich politisch betätigen und Gelder aus dem Ausland erhalten, einzustellen. Voraussetzung hierfür ist eine Bedrohung der ‚Interessen der Russischen Föderation‘. Die Zuständigkeit zur Umsetzung des Gesetzes wurde dem für die Registrierung der NGOs verantwortlichen Organ übertragen, als Sanktion eine Beschlagnahme des Vermögens der Organisation (Arrest) vorgesehen.
2. Ergänzung der Verfahrensvorschriften
Durch das Gesetz Nr. 129-FZ vom 23.05.2015 „über die Einführung von Änderungen in einige gesetzgebende Akte der Russischen Föderation“ wurde das o.g. Gesetz um einen neuen Artikel 3.1 ergänzt. Danach können ausländische oder internationale Nichtregierungsorganisationen, die nach Ansicht der Behörden eine Bedrohung für die Verfassungsordnung, Verteidigungsfähigkeit oder die Sicherheit des Staates darstellen, für "unerwünscht" auf dem Territorium der Russischen Föderation erklärt werden. Die Entscheidung über die Anerkennung einer Organisation als unerwünscht wird von dem Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation oder seinem Stellvertreter in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt getroffen. In gleicher Weise kann diese Entscheidung aufgehoben werden.
Im Vergleich zur bisherigen Regelung kann daran eine Spezifizierung gesehen werden, da die in der Neufassung genannten Kriterien eher strenger sind, als das bisherige Kriterium der Bedrohung der Interessen der Russischen Föderation. Allerdings besteht die alte Regelung weiterhin fort. Hinzu kommt, dass durch die Verlagerung der Zuständigkeit auf die Staatsanwaltshaft den Behörden nunmehr erheblich erweiterte Untersuchungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
3. Verschärfung der Rechtsfolgen
Die Anerkennung als unerwünschte Organisation hat die Schließung der bereits tätigen Filialen, ein Verbot der Verbreitung von Informationsmaterialien, die diese Organisationen herausgeben, und das Verbot der Durchführung von Projekten und Programmen zur Folge. Hierin wie auch in den folgenden Bestimmungen ist eine Verschärfung der Sanktionen zu sehen.
In das Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten ist ein neuer Artikel 20.33 eingeführt worden, der die Haftung (Geldbuße für natürliche Personen bis zu 15.000 Rubel, für Beamte bis zu 50.000 Rubel, für juristische Personen bis zu 100.000 Rubel) für die Durchführung der Tätigkeit einer ausländischen oder internationalen, als unerwünscht anerkannten Nichtregierungsorganisation auf dem Territorium der Russischen Föderation oder die Teilnahme an einer solcher Tätigkeit oder Nichteinhaltung der im Gesetz Nr. 272-FZ festgesetzten Verbote vorsieht.
In das Strafgesetzbuch ist weiter ein neuer Artikel 284.1 eingeführt worden, der die Strafbarkeit (Geldstrafe, Zwangsarbeit bzw. Freiheitsstrafe von bis zu 6 Jahren) für die Leitung der Tätigkeit einer ausländischen oder internationalen, als unerwünscht anerkannten Nichtregierungsorganisation auf dem Territorium der Russischen Föderation bzw. Teilnahme an einer solchen Tätigkeit vorsieht, falls der Täter davor innerhalb von einem Jahr bereits zweimal wegen Ordnungswidrigkeit gemäß Art. 20.33 zur Haftung gezogen wurde.
Informationen über die Erklärung für unerwünscht werden im speziellen Register unerwünschter Organisationen eingetragen. Der Register ist auf der Website der zuständigen Behörde (Justizministerium) zu veröffentlichen. Gemäß dem neu eingeführten Artikel 3.2 wird darüber hinaus Banken und anderen Finanzorganisationen verboten, Operationen mit Geld und Vermögen der unerwünschten Organisationen durchzuführen. Die Banken und andere Finanzorganisationen informieren die zuständige Behörde (Rosfinmonitoring) über alle Fälle der Weigerung der Operationsdurchführung. Diese informiert weiter die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation.
Mitarbeitern der als unerwünscht anerkannten Organisationen kann die Einreise in die Russische Föderation verboten werden.
4. Gesetzesbegründung
In einem bei der Parlamentsabstimmung veröffentlichten erklärenden Zusatz zu dem Gesetz heißt es, in Russland tätige "zerstörerische Organisationen" müssten gestoppt werden. Sie seien eine Bedrohung für die "Werte des russischen Staates" und könnten Umstürze wie in ehemaligen Sowjetrepubliken in den vergangenen Jahren (wie z.B. Orangene-Revolution in der Ukraine 2004) anzetteln.
Ein russischer Politologe sagte zu diesem Gesetz: Im vergangenen Jahr sei in den USA ein Gesetz über die Bekämpfung von russischen Aggression beschlossen worden, das die Finanzierung unterschiedlicher nichtkommerzieller Organisationen vorsieht. Der Zweck der Finanzierung sei eine Einhegung Russlands. Wenn über die Realität einer Bedrohung Russlands gesprochen werde, so sei diese ganz real.
Von vielen Menschenrechtsorganisationen wird das Gesetz scharf kritisiert, insbesondere weil das Verfahren der Anerkennung als unerwünscht intransparent sei und weil die Möglichkeiten eines gerichtlichen Schutzes nicht im Gesetz geregelt seien.
Link zum neuen Gesetz in der russischen Sprache: http://publication.pravo.gov.ru/Document/View/0001201505230001?index=0&rangeSize=1.
Link zum Gesetz Nr. 272 in der russischen Sprache: http://www.rg.ru/2012/12/29/zakon-dok.html.
[1] Sergeij Magnitzkij war Mitarbeiter des amerikanischen Investmentbankers Bill Browder und hatte schwere Korruptionsvorwürfe gegenüber russischen Beamten erhoben. Gegen ihn wurde Anklage wegen Steuerhinterziehung ermittelt und er ist in der Untersuchungshaft umgekommen. Sein Tod wird den im Magnitzkij-Act aufgeführten Personen zur Last gelegt.
Fotoquelle: www.yktnews.ru