Neue höchstrichterliche Rechtsprechung zu grenzüberschreitenden Insolvenzen in Russland

Recht Russland

Das Oberste Gericht Russlands hat die Bedingungen für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegen ausländische Unternehmen festgelegt. Das sind die enge Verbindung mit der Russischen Föderation und vor allem das Vorhandensein von Vermögen, das verpfändet werden kann.

Lange Zeit hat sich die grenzüberschreitende Konkursrechtsprechung in Russland eher langsam entwickelt. Das Jahr 2024 bildete eine Ausnahme. Der Beschluss des Obersten Gerichts der RF vom 8.2.2024 im Fall Westwalk Projects Ltd. wurde zu einem wichtigen Präzedenzfall, der „grünes Licht“ für die Einleitung von Insolvenzverfahren in Russland gegen ausländische Unternehmen gab. Juristen haben diesen detaillierten und gut strukturierten Rechtsakt als „ein neues Kapitel des Insolvenzgesetzes“ bezeichnet. Tatsächlich wurden die Änderungen, die den grenzüberschreitenden Konkurs regeln, in der Russischen Föderation nicht verabschiedet, so dass die Gerichte die Verantwortung übernehmen mussten.

Die Anwälte betonen, dass die Verfügbarkeit eines grenzüberschreitenden Konkursinstruments auf dem Territorium der Russischen Föderation unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen und dem Druck der Sanktionen die Chancen der Gläubiger auf die Eintreibung ihrer Schulden, insbesondere in Sekundärverfahren, erhöht. Wenn früher für russische Gläubiger ausländische Gerichte zugänglich waren, so wird jetzt, wann die ausländische Justiz nicht verfügbar ist, der Konkurs einer ausländischen Vermögensmasse in Russland zum wirksamsten Instrument. Neben den kommerziellen Gläubigern nutzt nun auch die Steuerbehörde diesen Mechanismus aktiv.

Im Jahr 2024 haben die Gerichte bereits 363 Anträge des russischen Steuerdienstes auf Konkurseröffnung ausländischer Unternehmen aufgrund von Steuerschulden geprüft. Davon haben 310 Unternehmen Schulden in Höhe von 8,2 Mrd. RUB an den Staatshaushalt beglichen, ohne die Eröffnung eines Konkursverfahrens abzuwarten. Bei den übrigen 53 Unternehmen stellten die Gerichte fest, dass die Forderungen der Steuerbehörden gerechtfertigt waren, und leiteten ein Konkursverfahren gegen die Schuldner ein.

In dem o.g. Beschluss hat das Oberste Gericht klargestellt, dass russische Gerichte berechtigt sind, über grenzüberschreitende Konkursfälle zu entscheiden, wenn eine „enge Verbindung des Schuldners mit dem Territorium der Russischen Föderation“ besteht. Dabei spielt es eine Rolle, wo das Unternehmen eine ständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, auf Bürger welches Staates das Geschäft ausgerichtet ist, ob es Repräsentanzen in der Russischen Föderation gibt, welche Staatsangehörigkeit die Eigentümer und Geschäftsführer des Unternehmens haben - diese Aufzählung ist nicht abschließend, und die Widerlegungslast, dass eine solche Verbindung nicht besteht, liegt beim Schuldner.

Dabei hat das Oberste Gericht die Eröffnung sowohl eines primären als auch eines sekundären (lokalen) Konkursverfahrens gegen ein ausländisches Unternehmen zugelassen. Befindet sich der „Mittelpunkt der Hauptinteressen“ des Schuldners in der Russischen Föderation, wird das primäre Verfahren eingeleitet, was globale Auswirkungen hat und für alle Gerichtsbarkeiten gelten sollte. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen eine juristische Person „nur formell außerhalb der russischen Gerichtsbarkeit registriert“ ist, aber tatsächlich in Russland Geschäfte tätigt, Vermögen besitzt und Transaktionen abschließt. Das Vorhandensein einer offiziellen Niederlassung in Russland ist irrelevant. Befindet sich der „Mittelpunkt der Hauptinteressen“ in einem anderen Land, hat das ausländische Unternehmen aber eine ständige Vertretung oder Vermögen in der Russischen Föderation, kann ein sekundäres Verfahren eingeleitet werden.

Es handelt sich hierbei um einen Konkurs der „gesonderten Vermögensmasse des Schuldners “ innerhalb der Russischen Föderation und gilt nur für Gläubiger, die mit der Tätigkeit der juristischen Person in Russland in Verbindung stehen.

Die vom Obersten Gericht vorgeschlagenen Regeln stehen im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des UNCITRAL-Mustergesetzes. Nach Ansicht von Rechtsexperten ist dies ein ernsthafter Schritt in Richtung einer umfassenden Regulierung des Konkurses von ausländischen Unternehmen in Russland.

Im Allgemeinen ist die Praxis für die Gläubiger günstiger geworden. Die Präzisierung der Kriterien für die Einleitung des Verfahrens brachte Sicherheit in den Prozess des Nachweises der engen Verbindung eines Schuldners mit der Russischen Föderation. Das Ergebnis ist, dass einerseits die Kontrolle über die Aktivitäten ausländischer Unternehmen in Russland verstärkt wurde und es andererseits für Unternehmen schwieriger geworden ist, den Insolvenzfall in Russland durch förmliche Registrierungen in Offshore-Zonen zu vermeiden. Das Hauptaugenmerk der Gerichte liege nun auf der Analyse des tatsächlichen Inhalts der wirtschaftlichen Beziehungen. Dies spiegelt sich in der Dauer der Gerichtsverfahren wider: Wenn die Verbindung eines Unternehmens mit Russland nicht offensichtlich ist, neigen die Gerichte dazu, eine gründlichere Prüfung aller Fakten vorzunehmen. Die durchschnittliche Dauer der Prüfung eines Gläubigerantrags durch ein Gericht beträgt ca. 5 Monate, während die Höchstdauer ca. 1,5 Jahre beträgt.

Ausländische juristische Personen, deren Konkurs von Gläubigern aktuell vor russischen Gerichten beantragt wird, haben ihren Sitz meist in traditionellen Gerichtsbarkeiten, die auf die eine oder andere Weise mit der Geschäftstätigkeit in Russland oder mit russischen Nutznießern verbunden sind - Zypern (über 30 % aller Fälle), die Türkei und seltener EU-Länder.

Die wichtigsten und häufigsten Argumente bei der Beantragung des Konkurses eines ausländischen Unternehmens sind das Bestehen von Schulden gegenüber russischen Gläubigern und das Vermögen des Schuldners auf dem Gebiet der Russischen Föderation. Dabei kann es sich um bewegliches oder unbewegliches Vermögen handeln, und es werden auch Hinweise auf Forderungen akzeptiert. Bei der Eröffnung eines lokalen (sekundären) Konkurses können die Gerichte die steuerliche Registrierung einer juristischen Person in Russland berücksichtigen. Das Vorhandensein von Geldern des Schuldners auf Konten des Typs C steht ihrer Einbeziehung in die Konkursmasse nach Ansicht des Gerichts nicht entgegen. Ein gängiges Argument ist es, dass der Schuldner seine Tätigkeit in Russland ausübt. Dieses Argument ergibt sich organisch in Bezug auf Projekt-Offshore-Gesellschaften, bei denen es sich tatsächlich um eine russische Organisation handelt, die Verbindlichkeiten und Vermögenswerte anhäuft. Hinzu kommt häufig die russische Staatsbürgerschaft der Eigentümer des Schuldners.

Als Nachweis für eine Tätigkeit in der Russischen Föderation können Geschäfte mit russischen Vertragspartnern dienen, die im Lande abgewickelt werden. Darüber hinaus sind das Vorhandensein von verbundenen Unternehmen in der Russischen Föderation und die Mehrzahl der Transaktionen über russische Banken (z. B. der Schuldner übt in der Russischen Föderation Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Vermietung und Verwaltung von Immobilien aus, empfängt hier Korrespondenz und unterhält Verrechnungskonten) ebenfalls von Bedeutung.

Unbedeutende Transaktionen oder die vorübergehende Präsenz von Vermögenswerten im Land reichen dem Gericht in der Regel nicht aus (so war das Gericht in einem Fall der Ansicht, dass der Anteil russischer Aktiva und russischer Gewinne eines ausländischen Unternehmens von 0,4 % bzw. 0,14 % das Kriterium der „engen Verbindung“ nicht erfüllt).

Eines der interessantesten Argumente der Gläubigerseite sind Schwierigkeiten bei der Einleitung des Verfahrens im Ausland. So wurde beispielsweise dem Antrag eines Gläubigers auf Konkurseröffnung eines deutschen Unternehmens mit dem Hinweis stattgegeben, dass ein russisches Gerichtsurteil über die Eintreibung von Forderungen aufgrund des gegen die Russische Föderation verhängten Sanktionsregimes nicht außerhalb der Russischen Föderation vollstreckt werden kann.

Derzeit wird ferner ein internationales Abkommen über den grenzüberschreitenden Konkurs für die GUS-Staaten vorbereitet. In dem Dokument werden die Verfahren ebenfalls in Primär- und Sekundärverfahren unterteilt, und es wird vorgeschlagen, bei der Bestimmung des Mittelpunkts des Interesses auf den Standort der Aktiva des Schuldners und den Ort der Haupttätigkeit des Unternehmens abzustellen.

Quelle: Zeitung «Kommersant» Nr. 226 vom 06.12.2024, S. 10, https://www.kommersant.ru/doc/7347563

Fotoquelle: www.m24.ru

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