Hinweis auf den Beitrag von Prof. Otto Luchterhand
Prof. Dr. Otto Luchterhandt widmet sich in einem Beitrag in der Gedächtnisschrift für den im Jahr 2022 verstorbenen Peter Mankowski dem Thema „Rechtsnihilismus und weitere prägende Eigenheiten der Rechtskultur Russlands“.[1] Dabei arbeitet er zunächst die prägenden Unterschiede heraus, die die Entwicklung des Zarenreiches im Unterschied zu der in den west- und mitteleuropäischen Staaten geprägt haben. Hierzu zählt er in erster Linie die Prägung durch die byzantinische Geisteswelt und ihr Staatsverständnis, eine Prägung durch die 250 Jahre währende Herrschaft der Mongolen, eine langdauernde Unterdrückung der Bauern, die erst 1861 ihr Ende fand, und eine nur schwache Herausbildung eines Bürgertums vor der Revolution. Die hierdurch begründete Missachtung des Rechts wurde wiederum verstärkt in der Zeit der Sowjetunion. Der sowjetischen Rechtskultur waren der Vorrang des Staates vor dem Individuum, der instrumentelle Charakter des Rechts als Mittel zur Durchsetzung ideologischer Ziele bei gleichzeitiger Privilegierung der Mitglieder der herrschenden Nomenklatura und der Unterdrückung individueller wirtschaftlicher Freiheiten zugunsten einer administrativen, staatlichen Güterverteilung immanent.
In diesen Besonderheiten der Entwicklung sieht er den Grund für die ‚Eigentümlichkeiten‘ in der Gesetzgebung und Rechtsanwendung in der Russländischen Föderation der Gegenwart. Als solche beschreibt er die Neigung zur Kasuistik und zum Formalismus in der Gesetzgebung bei gleichzeitiger Unklarheit zentraler Zuständigkeits-und Kollisionsregelugen. Als ein wesentliches Kennzeichen der Rechtsanwendung macht er die ‚Neigung zur Bestrafung‘ aus. Dies macht er fest an der ständig wachsenden Zahl von Straftatbeständen und Ordnungswidrigkeiten sowie der erschreckend geringen Zahl an Freisprüchen in Strafprozessen. In dieser Neigung sieht er eine Haupthinterlassenschaft der Sowjetunion, die sich nunmehr nicht zuletzt gegen die neu entstandene Schicht erfolgreicher Privatunternehmer richte. Gleichzeitig behindere die Korruption die Herausbildung rechtsstaatlicher Praktiken. Er billigt Präsident Putin in seiner ersten Amtszeit zwar zu, in diesem Punkt Remedur schaffen zu wollen. Andererseits stütze sich das Putin-Regime auf eine Präsidialexekutive, die den Gesetzgeber und auch die Gerichte beherrscht, alle echten, unabhängigen demokratischen und rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen abgeschafft, unabhängige Medien bis auf inselartige Reste marginalisiert sowie autonome zivilgesellschaftliche Organisationen abgedrängt oder ausgeschaltet hat. Der Rechtsnihilismus, so lassen sich seine Thesen zusammenfassen, liege im Wesen eines solchen Systems.
[1] O. Luchterhandt „Rechtsnihilismus und weitere prägende Eigenheiten der Rechtskultur Russlands“ in v. Bar u.a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift für Peter Mankowski, 2024, S. 1071-1088.