Gerichtsstreitigkeiten: Reaktion auf Sanktionen

Recht Russland

von Alexey Fedoryaka, Rödl & Partner, Russland

Am 8. Juni 2020 hat der russische Präsident Wladimir Putin das Föderale Gesetz Nr. 171-FZ (im Folgenden „Gesetz“) unterzeichnet, welches Sanktionsstreitigkeiten der ausschließlichen Zuständigkeit russischer Arbitragegerichte (staatliche Wirtschaftsgerichte) zuordnet. Nun sind Unternehmen und natürliche Personen, die ausländischen Sanktionen unterliegen, berechtigt, ihre Interessen vor russischen staatlichen Gerichten zu verteidigen.

Außerdem berechtigt das Gesetz russische Unternehmen, gegen die ausländische Staaten und/oder internationale Staatengemeinschaften (z.B. Europäische Union) Sanktionen eingeführt haben, einen Antrag auf das Verbot der Verhandlung der Sanktionsstreitigkeit vor Gerichten außerhalb Russlands (im Folgenden auch „Antisuit injunction“) bei einem russischen Gericht einzureichen. Im Falle eines Verstoßes gegen dieses Verbot kann das russische Gericht ein Bußgeld auferlegen, das die Gerichtskosten des russischen Unternehmens und die Ansprüche des Prozessgegners kompensiert.

Das wichtigste Ziel der Autoren dieses Gesetzes ist der Schutz der Interessen jenes Teils der russischen Unternehmen, der seine Rechte in ausländischen Gerichten nicht verteidigen kann. Diese Änderungen in der russischen Arbitrageprozessordnung sind am 19. Juni 2020 in Kraft getreten.

Sanktionsstreitigkeit ist ausschließliche Zuständigkeit Russlands

Der erste Aspekt der Reform besteht in den Änderungen in Artikel 27 der Arbitrageprozessordnung der Russischen Föderation (im Folgenden „APO RF“), und zwar in der Erweiterung der Liste der Streitigkeiten, die der ausschließlichen Zuständigkeit der russischen Gerichte unterliegen, und die Hinzufügung des Artikels 248.1 in die APO RF, der folgende Gruppen von Streitigkeiten enthält:

1. Streitigkeiten unter Teilnahme russischer natürlicher und juristischer Personen, gegen die ein fremder Staat oder eine Organisation Sanktionen eingeführt haben;

2. Streitigkeiten unter Teilnahme ausländischer juristischer Personen, gegen die Sanktionen eingeführt wurden, deren Grundlagen die Sanktionen gegen russische Personen bilden;

3. Streitigkeiten zwischen Personen, unabhängig von deren Gerichtsbarkeit: deren Grundlage die Sanktionen gegen russische Personen bilden.

Die Prüfung einer Streitigkeit unter Verstoß gegen die ausschließliche Zuständigkeit der Russischen Föderation ist eine Grundlage für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung des Beschlusses des ausländischen Gerichts. Die neue Regelung gilt auch bei Vorliegen einer Schieds- oder Prorogationsvereinbarung unter der Bedingung, dass wegen der eingeführten Sanktionen die Vereinbarung unerfüllbar ist und einer Partei der Anspruch auf Rechtsschutz entzogen wird.

Art. 248.1 Pkt. 5 APO RF weist jedoch darauf hin, dass ein Verstoß gegen die ausschließliche Zuständigkeit der Russischen Föderation die Vollstreckung des Beschlusses in Russland nicht beeinflusst, wenn die russische Person sich nicht gegen die Prüfung der Streitigkeit durch ein ausländisches Gericht oder durch ein internationales Wirtschaftsschiedsgericht in Russland ausgesprochen hat.

Das Gesetz in der vorliegenden Fassung ist mangelhaft. So muss zum Beispiel die Person, gegen die die Sanktionen verhängt wurden, nicht beweisen, dass die ihr auferlegten Sanktionen die Beilegung der Streitigkeit beeinflussen können. Somit kann diese Person dieses Recht unredlich für den Schutz seines Vermögens in Russland nutzen.

Außerdem sieht die ausschließliche Zuständigkeit i.S. der APO RF vor, dass Streitigkeiten unter keinen Bedingungen zur Verhandlung an ein Schiedsgericht oder ein ausländisches Gericht übergeben werden. Dabei ist die Übertragung der Streitigkeit an ein anderes Gericht im gegenseitigen Einvernehmen der Parteien durch Artikel 248.1 APO RF vorgesehen. Dies kann zu Widersprüchen in der Rechtsprechung führen.

Gerichtliches Verbot von Gerichtsverfahren außerhalb Russlands („Antisuit Injunction“)

Der zweite Aspekt der Reform ist mit dem Recht der unter Sanktionen stehenden Personen verbunden, beim regionalen Arbitragegericht einen Antrag auf das Verbot der Initiierung oder Fortsetzung eines solchen Verfahrens („Antisuit injunction“) einzureichen. Es ist anzumerken, dass die Antisuit injunction einer bestimmten Person, die die gerichtliche Streitigkeit initiiert hat, und nicht dem Gericht auferlegt wird.

Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers kann dieses Institut für den Ausschluss oder die Erschwerung der Vollstreckung des Gerichtsbeschlusses in Russland oder für die Übertragung der Sanktionsstreitigkeit nach Russland angewendet werden.

Für die Einführung des Verbots muss der Antragsteller beim russischen Gericht Folgendes beweisen:

- Vorliegen der Sanktionsstreitigkeit oder der Gefahr deren Einleitung bei einem ausländischen Gericht oder einem internationalen Wirtschaftsschiedsgericht außerhalb Russlands;

- ausschließliche Zuständigkeit des russischen Arbitragegerichts in Bezug auf die Sanktionsstreitigkeit i.S.v. Artikel 248.1 APO RF;

- Unerfüllbarkeit der Schieds- oder Prorogationsvereinbarung über die Übergabe der Streitigkeit an ein ausländisches Gericht im Zusammenhang mit der Anwendung von Sanktionen auf eine der Parteien der Sanktionsstreitigkeit (beim Vorliegen einer solchen Vereinbarung).

Für die Sicherstellung der Vollstreckung des Verbots ermöglicht es diese Norm dem Gericht, vom Initiator des Verfahrens im Ausland eine durch das Gericht bestimmte Geldsumme beizutreiben.

Trotz der scheinbaren Einfachheit und der praktischen Ähnlichkeit mit dem durch die Gerichte angewendeten Zwangsgeld scheint die Anwendung dieser Maßnahme problematisch.

Diese Maßnahme ist zwar in vielen ausländischen Rechtssystemen festgelegt, wird jedoch in der Praxis nicht angewendet und sogar als EU-rechtswidrig erachtet. Außerdem hat das Oberste Arbitragegericht der Russischen Föderation in einer seiner Erläuterungen darauf hingewiesen, dass das durch ein ausländisches Gericht verhängte Verbot der Prüfung einer Streitigkeit durch russische Gerichte die Prüfung der Streitigkeit durch das zuständige russische Gericht nicht verhindert. Unserer Meinung nach ist das durch das russische Gericht verhängte Verbot auch kein Hindernis für die Fortsetzung oder Einleitung des Verfahrens bei einem ausländischen Gericht oder Schiedsgericht.

Somit ist dieses Gesetz nicht eindeutig. Einerseits schützt es das Recht auf Zugang zum Rechtsschutz für Personen, denen dieses Recht kraft der ihnen auferlegten Sanktionen entzogen wurde. Bei der richtigen Anwendung dieses Gesetzes und dessen Anerkennung durch die Rechtssysteme anderer Länder würde es ermöglicht werden, die Rechte von Personen aus der Sanktionsliste in ihrem Herkunftsland effektiv zu schützen. Andererseits kann die ausschließliche Zuständigkeit russischer Gerichts für die Prüfung von Sanktionsstreitigkeiten eine Grundlage für Missbräuche seitens der unter Sanktionen stehenden Personen bilden. Die Sicherheitsmaßnahme Antisuit injunction kann dabei wegen des fehlenden einheitlichen Herangehens an ihre Anwendung in anderen Ländern möglicherweise unerfüllbar sein.

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