Folgen der Covid-Pandemie: Gerichte kommen den betroffenen Unternehmen entgegen

Recht Russland

Igor Bostanika, Anastasija Kondratenko, Rödl & Partner

Die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen wurden zu einem ernsten Hindernis für die ökonomischen Aktivitäten sämtlicher Wirtschaftssubjekte. Vielen Unternehmen sind trotz staatlicher Unterstützung Einkommensquellen, ein Teil ihres Gewinns oder Geschäftskontakte abhandengekommen. Um einer übermäßigen Einschränkung der Vermögensrechte der Unternehmen vorzubeugen sowie deren Ausscheiden aus dem Markt zu verhindern, berücksichtigten die Gerichte in Bußgeldverfahren die jeweiligen Umstände und senkten beispielsweise die Höhe von Bußgeldern. In unserer Übersicht werden wir untersuchen, welche Umstände dabei ausschlaggebend waren und welche Empfehlungen den Unternehmen helfen können.

Das Recht des Richters bzw. der Behörde, im Verfahren über ordnungsrechtliche Verstöße die Geldbuße herabsetzen zu können, beruht auf Absetzen 3.2 und 3.3 des Artikels 4.1 des Kodex über Ordnungswidrigkeiten. Eine Geldbuße unter dem angedrohten Mindestmaß kann in Ausnahmefällen angesichts der spezifischen Vermögens- und Finanzlage des Betroffenen angeordnet werden. Diese Regel betrifft die in den Gesetzen der Föderationssubjekte verankerten Bußgelder [1] (einige russische Regionen wie z.B. Moskau, Gebiet um Moskau und St. Petersburg verfügen über eigene Ordnungswidrigkeitsgesetze).

Gemäß der Rechtsprechung begründet der Verweis auf Corona allein keinen Ausnahmeumstand und führt nicht zur automatischen Herabsetzung der Geldbuße [2]. In jedem Einzelfall werden die Gerichte die Gesamtheit der Umstände auswerten, beispielsweise:

  • -      ob es um eine erstmalige ordnungsrechtliche Belangung geht [3];
  • -      ob der ordnungsrechtliche Rechtsverstoß bzw. die Schuld anerkannt wurde [4];
  • -      ob der Betroffene die Behörden während des Verfahrens unterstützt hat (durch Bereitstellung aller erforderlichen Dokumente) [5];
  • -      ob keine verschärfenden Merkmale vorliegen [6];
  • -      die Finanzlage des Betroffenen zur Zeit der Corona-Pandemie [7].

Die Gerichte haben noch keine einheitliche Position zur Frage entwickelt, ob die Verschlechterung der Finanzlage infolge der Corona-Pandemie beweisbedürftig ist. Einige Gerichte sind der Meinung, dass die Entstehung erheblicher Probleme im Geschäftsablauf eine allgemein bekannte Tatsache ist und nicht durch Beweise nachgewiesen werden muss [8]. Jedoch wird in den meisten Fällen, wenn für unwiderrufliche finanzielle Konsequenzen und die Unmöglichkeit der Fortsetzung der Geschäftstätigkeit keine Nachweise erbracht wurden, der Antrag auf die Herabsetzung der Geldbuße abgelehnt [9].

Zum Nachweis kann das Unternehmen dem Gericht z.B. Jahresabschlüsse, eine handelsrechtliche Bilanz oder Schreiben der Geschäftspartner vorlegen. Die Gerichte beachten auch, ob die belangte Person ein kleines bzw. mittelständisches Unternehmen ist. Eine Geldbuße von über 400.000 Rubel wird in der Regel als eine erhebliche Sanktion für diese Wirtschaftssubjekte und als eine „übermäßige Einschränkung“ ihrer Rechte betrachtet[10].

Anhand der Gesamtheit der Umstände halbieren die Gerichte der ersten Instanz oft die verhängte Geldbuße. Eine weitere Anfechtung in den Gerichten der Berufungsinstanz zum Zweck einer stärkeren Herabsetzung bleibt dabei in der Regel erfolglos. Das Berufungsgericht wird lediglich den Beschluss der ersten Instanz für gesetzmäßig und die Reduzierung der Geldbuße für begründet erklären [11].

Somit muss das Gericht bei der Verhängung einer ordnungsrechtlichen Sanktion eine wichtige Aufgabe lösen, nämlich ein faires Gleichgewicht zwischen öffentlichen und privaten Interessen gewährleisten und die Grundsätze der Differenzierung, Angemessenheit und Gerechtigkeit wahren. Die Minderung der Geldbuße verfolgt zwei Ziele: Die ordnungsrechtliche Strafe muss weiterhin neue Rechtsverstöße vorbeugen und gleichzeitig vermeiden, zum Hemmnis für die wirtschaftliche Aktivität der Unternehmen zu werden.

[2] Entscheid des 11. Arbitrageberufungsgerichts vom 19.03.2021 Nr. 11AP-209/2021 in der Sache Nr. A65-24711/2020

[3] Entscheid des 12. Arbitrageberufungsgerichts vom 13.07.2020 Nr. 20AP-3168/20 in der Sache Nr. A62-1941/2020

[4] Beschluss des Moskauer Stadtgerichts vom 02.09.2020 in der Sache Nr. 7-9911/2020

[5] Entscheid des 16. Arbitrageberufungsgerichts vom 12.02.2021 Nr. 16AP-5219/2020 in der Sache Nr. A63-13449/2020

[6] Beschluss des Obersten Gerichts der Republik Tatarstan vom 19.08.2020 in der Sache Nr. 7-1909/2020

[7] Entscheid des 13. Arbitrageberufungsgerichts vom 11.01.2021 in der Sache Nr. A21-7271/2020; Beschluss des Arbitragegerichts des Gebiets Smolensk vom 17.04.2020 in der Sache Nr. A62-1941/2020

[8] Entscheid des 16. Arbitrageberufungsgerichts vom 12.02.2021 Nr. 16AP-5219/2020 in der Sache Nr. A63-13449/2020; Beschluss des Arbitragegerichts der Republik Tuwa vom 03.06.2020 in der Sache Nr. A69-146/20

[9] Entscheid des 17. Arbitrageberufungsgerichts vom 20.02.2021 Nr. 17AP-390/2021-AK in der Sache Nr. A60-46587/2020; Entscheid des 15. Arbitrageberufungsgerichts vom 21.07.2020 Nr. 15AP-8882/2020 in der Sache Nr. A53-7676/2020; Entscheid des 8. Arbitrageberufungsgerichts vom 22.06.2020 Nr. 08AP-3683/2020 in der Sache Nr. A75-24537/2019; Entscheid des Arbitragegerichts des Moskauer Bezirks vom 10.07.2019 Nr. F05-9956/2019 in der Sache Nr. A40-269099/2018

[10] Beschluss des Arbitragegerichts der Republik Tuwa vom 03.06.2020 in der Sache Nr. A69-146/2020

[11] Entscheid des 5. Arbitrageberufungsgerichts vom 07.09.2020 Nr. 05AP-4006/2020 in der Sache Nr. A51-3958/2020; Entscheid des 3. Arbitrageberufungsgerichts vom 19.08.2020 in der Sache Nr. A69-3152/2018

Fotoquelle: www.zko.sud.kz

Zurück