Ende der Arbitragegerichte

Recht Russland

Das russische Gerichtssystem besteht bislang, neben dem Verfassungsgericht, aus zwei Gerichtszweigen: den ordentliche Gerichten, zuständig für Zivil- und Strafsachen, und den Arbitragegerichten. Grundlage hierfür sind die Art. 126 und 127 der Verfassung, in denen die Differenzierung zwischen den ordentlichen Gerichten und den Arbitragegerichten festgelegt wird. Die Arbitragegerichte sind zuständig für die Lösung von wirtschaftlichen Streitigkeiten, die sich sowohl aus zivilrechtlichen als auch aus verwaltungsrechtlichen Sachverhalten ergeben können. Entwickelt hat sich dieser Gerichtszweig aus der ‚Gosarbitrazh‘ sowjetischer Prägung, die die Aufgabe hatten, Streitigkeiten zwischen Staatsunternehmen im Zuge der Ausführung der staatlichen Wirtschaftspläne zu lösen. Daraus ergab sich nach der Anerkennung als einem eigenständigen Gerichtszweig eine an die Qualität der Parteien anknüpfende Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen Unternehmen bzw. juristischen Personen. Diese Differenzierung anhand der Parteien gilt noch heute. Sie wurde aber weiterentwickelt in Richtung auf eine Zuständigkeit in wirtschaftlichen Streitigkeiten, die in bestimmten Fällen auch Privatpersonen offen steht. Spezialisierte Verwaltungsgerichte gibt es daneben bislang nicht.

Am 7.Oktober 2013 hatte der Präsident einen Gesetzentwurf in die Duma eingebracht, der eine Aufhebung des Art. 127 Verfassung, der das Oberste Arbitragegericht nennt, und eine Änderung des Art. 126 der Verfassung der Gestalt zum Inhalt hat, dass das Oberste Gericht auch für wirtschaftliche und verwaltungsrechtliche Streitigkeiten zuständig sein soll.

In den Erläuterungen zum Gesetzentwurf wurden als Gründe für die Reform die Ziele der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung genannt und die Vermeidung von Fällen, in denen es wegen unklarer Zuständigkeiten zu einer Verweigerung des gerichtlichen Schutzes kommt.

Da es sich hierbei um ein verfassungsänderndes Gesetz handelt, bedarf es nach Art. 136 Verfassung neben der Zustimmung der Duma, die Ende Dezember erfolgte, der Billigung von mindestens 2/3 der Parlamente der Subjekte. Dieses Verfahren läuft derzeit.  

Weiter ausgeformt wird der Umbau des Gerichtssystems durch zwei Gesetzespakete vom November 2013 und Januar 2014. Das erste Gesetzespaket enthält den Entwurf eines Gesetzes ‚über das Oberste Gericht‘. Der Gesetzentwurf soll an die Stelle der Bestimmungen im Gesetz ‚über die Gerichte der Allgemeinen Gerichtsbarkeit‘ treten. Er setzt die Integration der Gerichtsbarkeit zu den wirtschaftlichen Streitigkeiten in die ordentliche Gerichtsbarkeit dergestalt um, dass innerhalb des Obersten Gerichts ein zusätzliches Kollegium für ‚wirtschaftliche Streitigkeiten‘ gebildet wird, neben denen für Zivil- und Strafrecht sowie für Verwaltungssachen. Der Gesetzentwurf enthält zudem erstmals Vorschriften über die Zuständigkeit des Obersten Gerichts als erstinstanzlichen Gerichts in Verwaltungssachen. Die Zahl der Richter wird von 125 auf 170 erhöht. Schließlich wird als neuer Sitz des Gerichts St. Petersburg festgelegt. Weiter soll das Gesetz ‚über das Gerichtssystem‘ angepasst werden. Dieser Änderung ist zu entnehmen, dass die Arbitragegerichte auf der Ebene der Instanzgerichte erhalten bleiben sollen. Zum ersten Paket gehört schließlich das Gesetz über die erstmalige Auswahl der Richter des Obersten Gerichts. Kern dieses Gesetzes ist die Bestimmung, dass alle Positionen am Obersten Gericht neu besetzt werden durch ein aus 27 Personen bestehendes Qualifikationskollegium. 24 von ihnen werden durch die Richterräte auf Ebene der Kreise gewählt. Grundlage der Entscheidung wird ein von einem anderen Gremium abzunehmendes Qualifikationsexamen sein. Die derzeitigen Richter des Obersten Gerichts und des Obersten Arbitragegerichts können sich bewerben, sind aber immerhin von dem Erfordernis einer Prüfung befreit. Diese Gesetze wurden am 24. Januar von der Duma in dritter Lesung verabschiedet   

Eine Kommentierung der beschriebenen Gesetzentwürfe lässt neben positiven Aspekten auch einige erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken offenbar werden. Positiv ist die Aufhebung der sachlich nicht gerechtfertigten Trennung zwischen Wirtschafts- und Zivilgerichten. Insofern vollzieht Russland nur nach, was die meisten anderen GUS-Staaten vorgemacht haben. Zwar mag die Konzentration aller Gerichtszweige in einem einzigen Gericht nicht die beste aller möglichen Lösungen sein. Auf der anderen Seit ist aber festzustellen, dass eine Differenzierung in verschiedene Kollegien innerhalb des Obersten Gerichts vorgenommen wurde, unter erstmaligen Einbeziehung eines Kollegiums für Verwaltungssachen.

Eine ungelöste verfassungsrechtliche Frage betrifft das weitere Schicksal der amtierenden Richter. Denn auch nach russischem Verfassungsrecht sind Richter ‚nicht absetzbar’, Art. 121 Verf. Zwar sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Zahl der Richter am Obersten Gericht auf 170 erhöht werden soll. Doch ist andererseits bestimmt, dass alle Richterstellen am Obersten Gericht neu vergeben werden. Insbesondere diese Bestimmung wird kritisiert, nicht nur im Hinblick auf das Prinzip der Unabsetzbarkeit der Richter, sondern auch im Hinblick auf die Gefahr, eine große Zahl qualifizierter Richter zu verlieren.

Aus diesem Grund sind einige Beobachter zu dem Ergebnis gekommen, das eigentliche Ziel der Reform sei die Disziplinierung eines sich zu unabhängig gebenden Gerichtszweiges. Ob diese Befürchtung eine reale Grundlage hat, wird sich insbesondere daran ablesen lassen, wie sich das Verfahren der Ernennung der neuen Richter in der Praxis gestaltet.                                         

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