Besonderheiten der Arbeitsverhältnisse während der Verbreitung von COVID-19: Erfahrungen von Russland und Deutschland

Recht Russland Wirtschaft

Olga Zhuravskaya, Anastasia Kondratenko, Egor Eckert, Rödl & Partner, Russland

Das Arbeitsrecht war einer der ersten Bereiche, der an die im Zusammenhang mit der Verbreitung des COVID-19-Virus rasch geänderten Bedingungen angepasst werden musste: neue Pflichten der Arbeitgeber, massenweise Umstellung auf Telearbeit, Impfung, Anwendung strenger Maßnahmen bei Nichteinhaltung obligatorischer Anforderungen. In diesem Artikel werden aktuelle Besonderheiten des Arbeitsrechts aus Sicht von zwei Ländern - Russland und Deutschland - betrachtet.

Pflicht zur Umstellung auf Homeoffice

Für russische Arbeitgeber bleibt die allgemeine Anweisung zur Ergreifung der auf die Minimierung der persönlichen Anwesenheit der Arbeitnehmer an ihren Arbeitsplätzen ausgerichteten Maßnahmen in Kraft. Die Liste einschränkender Maßnahmen und Organisationen, die ihre Tätigkeit fortsetzen dürfen, unterscheidet sich je nach der Region der Russischen Föderation.

Moskauer Arbeitgeber sind verpflichtet, mindestens 30 Prozent ihrer Mitarbeiter, einschließlich der Mitarbeiter im Alter von über 60 Jahren sowie der Personen mit chronischen Erkrankungen, auf Telearbeit umzustellen. Die Pflicht gilt bis zum 1. April 2022.

Die Verpflichtung zur Versetzung ins Homeoffice erstreckt sich nicht auf Mitarbeiter, deren Anwesenheit am Arbeitsplatz von kritischer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Organisation ist, geimpfte Mitarbeiter oder innerhalb der letzten sechs Monate genesene Arbeitnehmer. Die einschränkenden Maßnahmen erstrecken sich ebenso nicht auf ununterbrochen tätige Organisationen; Gesundheitseinrichtungen; Organisationen, die die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs versorgen; Notdienste; Finanzeinrichtungen; Betriebe der Rüstungsindustrie und anderer Zweige von strategischer Bedeutung (Rosatom, Roskosmos usw.).

In Deutschland sind Arbeitgeber verpflichtet, die Versetzung ins Homeoffice jenen Mitarbeitern anzubieten, die Büroarbeit oder eine ähnliche Arbeit leisten. Somit erstreckt sich das obligatorische Homeoffice nicht auf Industrie- oder Produktionstätigkeit, den Dienstleistungssektor und ähnliche Bereiche, die an einen bestimmten Ort gebunden sind oder die physische Anwesenheit der Mitarbeiter am Ort erfordern.

Aus „zwingenden betriebsbedingten Gründen“ sind Arbeitgeber berechtigt, ihren Mitarbeitern die Versetzung ins Homeoffice nicht anzubieten. Solche Gründe können rechtlicher (Arbeitsschutzanforderungen bzw. Datenschutz) oder sachlicher Natur sein (Notwendigkeit der ständigen Bearbeitung von Unterlagen und Waren, der Versendung per Post usw., das Fehlen der Arbeitsausrüstung).

Mitarbeiter haben die entsprechende Pflicht, die vom Arbeitgeber angebotene Versetzung ins Homeoffice anzunehmen, sofern keine Gründe dagegen vorliegen. Die Gründe für die Ablehnung des Homeoffice seitens der Mitarbeiter müssen triftig sein. In der Regel sind diese mit den Lebensbedingungen des Mitarbeiters verbunden - eingeschränkter Wohnfläche, unzureichender Internetverbindung bzw. Zusammenleben mit Personen, die ebenso von Zuhause aus arbeiten oder studieren.

Zugang der Mitarbeiter zu den Geschäftsräumen

In Russland sind Arbeitgeber nicht verpflichtet, ihre Mitarbeiter auf COVID-19 zu testen. Arbeitgeber in Moskau haben zwei grundlegende Pflichten hinsichtlich des Zugangs der Mitarbeiter zu den Geschäftsräumen, und zwar die Sicherstellung eines „Eingangsfilters“, also der Messung der Körpertemperatur der Mitarbeiter bei der Zulassung zum Arbeitsplatz bzw. zu den Räumlichkeiten des Arbeitgebers, sowie die Versorgung der Mitarbeiter mit persönlicher Schutzausrüstung (medizinischen Masken, Atemschutzmasken, Handschuhen).

Den Arbeitgebern wird die allgemeine Pflicht zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit auferlegt. Unter den aktuellen Bedingungen gilt Arbeit als sicher, die unter anderem unter Einhaltung erhöhter Hygieneanforderungen geleistet wird. Deswegen bleiben für Arbeitgeber nach wie vor Pflichten zur Bereitstellung von Antiseptika, Vorräten persönlicher Schutzausrüstungen und Desinfektionsmitteln in Geschäftsräumen, die Teilung von Arbeitsflüssen, die Einschränkung von Firmen- und Massenveranstaltungen für das Personal, die Kontrolle der Einhaltung der Selbstisolation durch Mitarbeiter, die Sicherstellung von Anlagen für die Luftdesinfektion usw. aktuell.

Arbeitgeber in Deutschland sind verpflichtet, zweimal pro Woche das kostenlose Expresstesten ihrer Mitarbeiter auf COVID-19 durchzuführen. Die Anforderung erstreckt sich auf alle Mitarbeiter, mit Ausnahme derer, die ständig von Zuhause aus arbeiten.

Für den unmittelbaren Zugang zu den Geschäftsräumen gelten so genannte 3G- und 2G-Regeln. 3G steht für vollständig geimpft, genesen oder negativ getestet (Expresstest bzw. PCR-Test).  2G steht für vollständig geimpft oder genesen. Die 3G-Regelung ist allgemein und gilt für alle Bereiche, wo Kontakt mit anderen Personen nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Regel wird ebenso für die vom Arbeitgeber organisierte Beförderung der Mitarbeiter bis zu ihren Arbeitsplätzen angewendet. Eine Ausnahme stellen Fälle dar, in denen der Mitarbeiter zum Arbeitsplatz kommt, um die vom Arbeitgeber angebotene Möglichkeit der Impfung bzw. des Tests in Anspruch zu nehmen.

Anfrage von Informationen über die Impfung bzw. Genesung bei Mitarbeitern

Gemäß Artikel 65 Arbeitsgesetzbuch der Russischen Föderation sind Arbeitgeber nicht berechtigt, bei Mitarbeitern Informationen über die Impfung bzw. Genesung zu verlangen. Dabei sind Arbeitgeber in Moskau verpflichtet, der Moskauer Regierung wöchentlich Angaben über die Arbeitnehmer vorzulegen, die der Umstellung in Telearbeit unterliegen bzw. nicht unterliegen. Außerdem müssen Mitarbeiter, für die die Impfung obligatorisch ist, die jedoch nicht geimpft sind, von der Arbeit freigestellt werden. Zur Vornahme aller bezeichneten Handlungen brauchen Arbeitgeber Informationen über die Impfung bzw. Genesung.

Somit ist es bei der Anfrage dieser Informationen bei den Mitarbeitern notwendig, darauf hinzuweisen, dass die Mitteilung dieser Informationen gemäß dem Arbeitsgesetzbuch der Russischen Föderation nicht obligatorisch, jedoch durch Anordnungen des Moskauer Bürgermeisters vorgesehen ist und zum Zweck des Schutzes der Gesundheit aller Mitarbeiter erfolgt.

Arbeitgeber in Deutschland sind während der schwierigen epidemischen Lage berechtigt, bei Mitarbeitern Informationen über Impfungen bzw. Genesung anzufragen. Diese Informationen müssen zum Zweck der Bekämpfung der Verbreitung der Coronavirus-Infektion sowie zur optimalen Verteilung von Arbeitsflüssen und -prozessen angefragt werden. Dabei wird dieses Recht nur Arbeitgebern aus den im Gesetz gelisteten Einrichtungen gewährt, unter anderem Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte, Schulen; Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen; Obdachlosenunterkünfte; Justizvollzugsanstalten usw. Mitarbeiter aus anderen Bereichen und Einrichtungen legen die Angaben über Impfungen bzw. Genesung freiwillig vor.

Zusätzliche Garantien für Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Impfung

Die Russische trilaterale Kommission zur Regulierung von Sozial- und Arbeitsverhältnissen hat Arbeitgebern empfohlen, ihren Mitarbeitern, die sich gegen COVID-19 impfen lassen haben, zwei bezahlte Urlaubstage zu gewähren.  Diese Garantie wurde in der Praxis positiv eingeschätzt.

Die Arbeitsgesetzgebung der Russischen Föderation räumt Arbeitgebern ein breites Spektrum von Möglichkeiten für die selbstständige Regulierung von Fragen der Organisation der Arbeit ein. Somit sind Arbeitgeber berechtigt, nicht nur zusätzliche Erholungstage zu gewähren, sondern auch Mitarbeiter mit Prämien für die Impfung zu belohnen. Die Möglichkeit der Gewährung zusätzlicher Garantien muss durch eine Betriebsvereinbarung bzw. eine interne Vorschrift des Arbeitgebers festgelegt werden. Diese Bedingung ist obligatorisch.

Für deutsche Arbeitgeber sind keine solchen ausdrücklichen Vorschläge zur Gewährung zusätzlicher Urlaubstage bzw. Auszahlung von Prämien an Mitarbeiter vorgesehen. In jedem Einzelfall ist eine rechtliche Prüfung der Möglichkeit der Gewährung zusätzlicher Garantien erforderlich. Dennoch kann ein zusätzlicher Urlaub für den Zeitraum der Impfung auf Grundlage von § 616 BGB gewährt werden, gemäß dem das Gehalt auch in dem Fall an den Arbeitnehmer weitergezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten innerhalb eines geringen Zeitraums nicht durch sein Verschulden, jedoch aus persönlichen Gründen nicht erfüllt. Als solcher Grund kann auch die Impfung bzw. schlechtes Befinden nach der Impfung auftreten. Die Belohnung der Mitarbeiter für die Impfung ist nur zum Zweck der Erreichung der Herdenimmunität in der Organisation zulässig, in diesem Fall müssen jedoch Prämien an alle Mitarbeiter ohne Ausnahme ausgezahlt werden.

Negative Folgen von Verstößen gegen verbindliche Anforderungen

Wegen der Verstöße gegen verbindliche Anforderungen können negative Folgen sowohl für den Arbeitgeber als auch für Mitarbeiter eintreten. So kann der Arbeitgeber (Auftraggeber für Arbeiten, Dienstleistungen) im Fall der Nichterfüllung der Anforderung über die Umstellung von 30 Prozent der Mitarbeiter auf Telearbeit in Form einer Verwarnung oder eines Bußgeldes in Höhe von bis zu RUB 50.000 (für verantwortliche Personen und Einzelunternehmer) bzw. bis zu RUB 300.000 (für juristische Personen) ordnungsrechtlich belangt werden. Für Verstöße gegen hygienische und epidemiologische Anforderungen ist eine Strafe in Form des Bußgelds in Höhe von bis zu RUB 150.000 (für verantwortliche Personen) bzw. bis zu RUB 500.000 oder der Einstellung der Tätigkeit auf die Dauer von bis zu 90 Tagen (für juristische Personen) vorgesehen.

Negative Folgen für die Mitarbeiter können in Form der Freistellung von der Arbeit ohne Gehaltsauszahlung auftreten, wenn der Mitarbeiter die obligatorische Impfung ablehnt. Die obligatorische Impfung ist für Mitarbeiter im Dienstleistungssektor, im Bereich Bildung, Gastronomie und einigen anderen Bereichen vorgesehen.

Je nach Charakter des Verstoßes können Bußgelder für deutsche Arbeitgeber von EUR 2.500 bis EUR 25.000 variieren. Falls die Tat vorsätzlich zum Zweck der Verschlechterung der epidemischen Lage begangen wurde, wird dies als Straftat betrachtet und durch Freiheitsentzug für bis zu fünf Jahre bestraft. Außerdem ist die Haftung für die Verwendung gefälschter Impfzertifikate in Rechtsgeschäften in Form eines Freiheitsentzugs für bis zu zwei Jahre vorgesehen.

Arbeitnehmer, die die 3G-Regeln an Arbeitsplätzen nicht einhalten, werden nicht in die Geschäftsräume eingelassen. Ist in diesem Fall die Ausführung der Arbeit über Fernkommunikationsmittel z.B. von Zuhause aus nicht möglich, kann die Frage über die Reduzierung des Gehalts gestellt werden. Einem solchen Mitarbeiter kann eine Abmahnung ausgesprochen werden, und im schlimmsten Fall kann die Frage über die Kündigung wegen der Nichteinhaltung zusätzlicher Pflichten im Zusammenhang mit der Ausübung der Arbeitsfunktion gestellt werden.

Somit erstreckt sich in Deutschland die Pflicht zum Anbieten des Homeoffice auf alle Mitarbeiter, sofern eine solche Möglichkeit besteht. In Russland erstreckt sich diese Pflicht im Großen und Ganzen nur auf 30 Prozent der Mitarbeiter. Der Zugang zum Arbeitsplatz in Deutschland wird präziser reguliert, in Russland müssen Arbeitgeber nur allgemeine Maßnahmen einhalten. In Russland wird die Belohnung der Arbeitnehmer für die Impfung empfohlen, in Deutschland dagegen entscheidet der Arbeitgeber nach eigenem Ermessen über eine eventuelle Prämie, mit Ausnahme von allgemeinen Regelungen. Zum Zweck der Erfüllung der festgelegten Pflichten sind die Informationen über die Impfung bzw. Genesung von besonderer Bedeutung für den Arbeitgeber. Dabei ist die Vorlage von Informationen über die Impfung in den meisten Fällen freiwillig für die Mitarbeiter.

Als Schlussfolgerung kann gesagt werden, dass die jeweiligen Vorschriften zur Vorbeugung des COVID-19-Virus insgesamt relativ intransparent sind und der Gesetzgeber die Haftung meist dem Arbeitgeber auferlegen. Deswegen wird eine gründliche Prüfung jedes Einzelfalls durch einen Spezialisten empfohlen, damit hohe Bußgelder vermieden werden können.

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