Kasachstan: Neuer Verwaltungsverfahrens-Verwaltungsprozesskodex seit dem 1.7.2021 in Kraft

Kaukasus & Zentralasien Recht

Am 1. Juli 2021 trat der Verwaltungsverfahrens-Verwaltungsprozesskodex der Republik Kasachstan (im Folgenden Kodex) in Kraft, der die Durchführung der internen Verwaltungsverfahren staatlicher und kommunaler Organe, der auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichteten Verwaltungsverfahren sowie das Verwaltungsgerichtsverfahren regelt.

Der Entwurf des Kodex wurde u.a. mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) auf Grundlage deutsche Gesetze (VwVfG und VwGO) erarbeitet. Die Reform des Verwaltungsrechts stellt einen Meilenstein für die Weiterentwicklung des Rechtsstaates in Kasachstan dar und wird bei einer vollständigen Implementierung das Verhältnis zwischen den Bürgern und ihrem Staat auf eine völlig neue Grundlage stellen.

Der Kodex vereint zwei ursprünglich getrennt ausgearbeitete Gesetzesentwürfe: betreffend das Verwaltungsverfahren und das Verwaltungsgerichtsverfahren. Ziel des Kodex ist es, die Rechte von Bürgern und juristischen Personen bei Streitigkeiten mit Behörden zu schützen, die Interessen der Parteien auszugleichen und die Qualität der behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zu verbessern.

Das Verwaltungsverfahren und der Verwaltungsprozess beruhen auf gemeinsamen Grundsätzen. Neben den auch bisher geltenden Grundsätzen wie z.B. Gesetzmäßigkeit sind nun auch ausdrücklich im Kodex geregelt die im deutschen Verwaltungsrecht gut bekannten Grundsätze wie Verhältnismäßigkeit, Vertrauensschutz, Grundsätze der Ermessensausübung, aktive Rolle des Gerichts usw.

Im Unterschied zum deutschen Verwaltungsverfahrensgesetz regelt der Kodex im Abschnitt 2 auch die internen Verfahren der staatlichen Organe, d.h. die Organisation der Tätigkeiten, die Ausübung der Kontrolle, die Planung der Tätigkeiten, Reglemente, die Bestimmungen über die staatlichen Organe, ihre Zuständigkeiten, Befugnisse, Funktionen und zu erfüllenden Aufgaben.

Das Verwaltungsverfahren mit Außenwirkung wird im Abschnitt 3 des Kodex geregelt. Darunter wird verstanden die auf Antrag oder aus eigener Initiative ausgeübte Tätigkeit der Verwaltungsbehörden oder der Beamten zur Prüfung einer Verwaltungssache, Erlass und Vollziehung eines Verwaltungsaktes in dieser Verwaltungssache.

Das Verwaltungsverfahren gliedert sich in folgende Phasen: Einleitung eines Verwaltungsverfahrens, Prüfung einer Verwaltungssache, Erlass eines Verwaltungsakts und Vollziehung eines Verwaltungsakts. Die Frist für das auf Antrags eingeleitete Verwaltungsverfahren beträgt 15 Arbeitstage ab dem Datum des Antragseingangs, sofern die Gesetze nichts anderes vorsehen. Das Verwaltungsverfahren endet entweder mit Erlass eines Verwaltungsaktes oder es wird eingestellt.

Der Kodex enthält Regelungen zur notwendigen Anhörung der Betroffenen vor dem Erlass des Verwaltungsaktes, Begründung des Verwaltungsaktes sowie zu dessen Bekanntgabe und Wirksamwerden.  

Der Kodex regelt auch detailliert das Widerspruchsverfahren und stellt zusätzliche Anforderungen an das Verfahren. Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens ist Voraussetzung für eine Klage.

Der Kodex sieht die Möglichkeit vor, sowohl einen rechtswidrigen als auch einen rechtmäßigen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, aufzuheben. Ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt ist zwingend aufzuheben. Bei der Aufhebung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen, d.h. ein solcher Verwaltungsakt kann nur aufgehoben werden, falls sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen kann. Der Kodex enthält dabei die abschließende Aufzählung von Fällen, wann das Vertrauen des Begünstigten nicht schutzwürdig ist. Ein rechtmäßig begünstigender Verwaltungsakt kann nur aufgehoben werden, wenn die Möglichkeit der Aufhebung in Gesetzen oder im Verwaltungsakt vorgesehen ist, oder wenn der Verwaltungsakt unter einer Bedingung erlassen wurde und diese Bedingung nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde.

Verwaltungsgerichtsverfahren werden von spezialisierten Bezirks- und gleichgestellten Verwaltungsgerichten durchgeführt, diese entscheiden somit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten. Die Gerichte wurden gemäß dem Präsidialdekret vom 26. Januar 2021 eingerichtet. Die bis dahin funktionierten spezialisierten Verwaltungsgerichte, die über Ordnungswidrigkeiten zu entscheiden hatten, wurden in spezialisierte Verwaltungsgerichte für Ordnungswidrigkeiten umbenannt.

Die Schaffung neuer Fachgerichte soll u.a. auch die Arbeit der verschiedenen Behörden verbessern und sich auf die Qualität der von der öffentlichen Verwaltung getroffenen Entscheidungen auswirken. So wurden z.B. in den ersten Monaten nach der Einführung des Kodes die meisten angefochtenen Entscheidungen der Behörden durch Gerichte aufgehoben.

Das Hauptunterscheidungsmerkmal der neuen Verfahrensart - des Verwaltungsgerichtsverfahrens - vom Verfahren vor Zivilgerichten, wo bis dahin über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nach dem Zivilprozessgesetzbuch entschieden wurde, ist die Verstärkung der Rolle des Gerichts bei der Beweiserhebung. Dadurch hat das Gericht unabhängig von den Anträgen der Parteien den Sachverhalt zu klären. Wenn die von den Parteien des Verwaltungsgerichtsverfahrens vorgelegten Beweise nicht ausreichen, erhebt das Gericht sie von Amts wegen. Darüber hinaus liegt die Beweislast im Verwaltungsgerichtsverfahren bei der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

Ein verwaltungsgerichtliches Verfahren wird durch Klageerhebung eingeleitet. Der Kodex sieht folgende Klagearten vor: Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage.

Die Entscheidung soll durch Gericht innerhalb einer angemessenen Frist, die jedoch nicht drei Monate nach Einreichung der Klage überschreitet, getroffen werden. In besonders komplexen Verwaltungssachen kann diese Frist durch einen begründeten Beschluss des Gerichts um einen angemessenen Zeitraum verlängert werden, der jedoch drei Monate nicht überschreiten darf.

Fotoquelle: www.akorda.kz

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