Proteste in Russland gegen Korruption

Politik Russland

Am 26.3.2017 haben in über 80 Städten Russlands Kundgebungen und Versammlungen gegen die Korruption stattgefunden, an denen nach unterschiedlichen Angaben insgesamt von 30 bis zu 150 Tausend Menschen teilgenommen haben.

In 26 Städten waren die Kundgebungen mit den örtlichen Verwaltungen abgestimmt. In einigen Städten haben die Kundgebungen auf den für Demonstrationen, Versammlungen und andere politische Aktionen vorgesehenen Plätzen (örtliche „Hyde-Parke“) stattgefunden. Die politischen Aktionen in den Hyde-Parken bedürfen keiner Abstimmung mit der Stadtverwaltung. Diese Kundgebungen verliefen friedlich und ruhig. In anderen Städten, wo die Kundgebungen aus verschiedenen Gründen nicht genehmigt waren, kam es zu zahlreichen Festnahmen.

In Moskau hat die Stadtverwaltung die Kundgebung im Stadtzentrum in der Tverskaya Straße nicht erlaubt und zwei andere Plätze außerhalb des Stadtzentrums (in dem „Hyde-Park Sokolniki“ oder im Stadtteil Mar´ino) vorgeschlagen. Zur Begründung hat die Stadtverwaltung angegeben, dass die große Kundgebung die öffentliche Sicherheit gefährden und den Straßenverkehr im Stadtzentrum erheblich stören würde. Der Oppositionspolitiker Alexej Navalnyj, der zu den Protestaktionen aufgerufen hatte, war jedoch damit nicht einverstanden. Er hielt die Entscheidung der Stadtverwaltung für rechtswidrig, weil die Alternativen nicht innerhalb der im Gesetz vorgesehenen drei Tagen vorgeschlagen worden seien, und versprach die Unterstützung bei der Klageerhebung vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte für alle, die bei der Aktion festgenommen werden sollen. Navalnyj schlug vor, zur Tverskaya Straße zu „Spaziergängen“ zu kommen.

Die Polizei hat sich am 23. März an die Moskauer mit der Bitte gewandt, nicht an der Aktion im Stadtzentrum teilzunehmen. Der Sprecher von Präsident Putin Dmitry Peskov nannte den Aufruf von Navalnyj, an einer nichtgenehmigten Aktion teilzunehmen, eine Provokation und Irreführung.  Navalnyj habe das Leben von den Teilnehmern und insbesondere Minderjährigen in Gefahr gebracht.

Trotzdem kamen nach Angaben der Polizei zur Kundgebung in Moskau 8000 Menschen (nach Angaben der Teilnehmer etwa 15.000, nach eigenen Angaben der Veranstalter etwa 30.000). Wegen Teilnahme an der nicht genehmigten Protestaktion, die mit Geldbußen bzw. administrativer Haft bis zu 15 Tagen geahndet wird, wurden in Moskau nach Angaben von Aktivisten 1030 Personen (darunter Navalnyj), nach Angaben der Stadtverwaltung über 600 Personen festgenommen und in die Polizeirevier gebracht.

Die Stadtverwaltung hat den Polizeieinsatz sehr gelobt. Die Polizei habe tadellos, sachgerecht und professionell gehandelt und seriöse Vorfälle vermeiden können. Mit Ausnahme eines Polizisten gab es keine Verletzten. Der Polizist war von einem unbekannten aus der Gruppe der Protestierenden angegriffen worden. Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma. Die Staatsanwaltsschaft leitete ein Strafverfahren ein. Nach Meinung einiger Mitglieder des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten hat jedoch die Polizei nicht korrekt gehandelt. Es seien in der Regel Menschen festgenommen worden, die keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellten.

In Sankt Petersburg nahmen an der Kundgebung nach offiziellen Angaben etwa 3.000 Menschen teil, nach Angeben der Veranstalter etwa 10.000. In Novosibirsk – von 1500 bis 4.000 Menschen. In Jekaterinburg – von 1000 bis 5.000, in Perm – von 1.000 bis 3.000, in Samara – von 500 bis 2.000, in Tscheljabinsk – von 850 bis 2.000.

Der Anlass für die Kundgebungen war ein Film mit dem Korruptionsbericht des von Navalnyj gegründeten Fonds für Korruptionsbekämpfung“, der am 2. März 2017 auf dem Videoportal „YouTube“ präsentiert wurde. Im Film hat Navalnyj gegen Regierungschef Dmitry Medwedew schwere Korruptionsvorwürfe erhoben.

Navalnyj behauptet, dass Medwedew ein korruptes Imperium gegründet hat. Er besitze Luxusimmobilien, Weingüter und Yachten in Russland und Italien im Wert von über 70 Mrd. Rubel bzw. umgerechnet 1 Mrd. Euro, die er über ein Netz wohltätiger Pseudo-Stiftungen kontrollieren soll. Das Luxusvermögen gehöre diesen Stiftungen, die nach Meinung von Navalnyj von Leuten verwaltet werden, die mit Medwedew verbunden sind. Die Stiftungen sollen von den russischen Oligarchen und Banken finanziert werden, die Schmiergeld für den Regierungschef gezahlt haben sollen. Bis jetzt wurde der Film mehr als 15 Millionen Mal aufgerufen.

Der Veröffentlichung des Films folgte zuerst keine vernünftige offizielle Reaktion. Dazu hat sich nur die Sprecherin von Medwedew Natalia Timakova kurz geäußert, die den Film als „einen Bericht einer oppositionellen und verurteilten Figur, der Vorwahlcharakter trage“ nannte. Vor allem wegen der fehlenden Reaktion der Macht hat Navalnyj zu Protesten am 26. März 2017 aufgerufen.

Präsident Putin hat sich erst einige Tage nach den Protestaktionen zu dem Thema geäußert. Er befürwortete zwar die Aufmerksamkeit in der Gesellschaft für das Thema Korruption. Er fand es aber falsch, wenn bestimmte politische Kräfte die Korruptionsbekämpfung im eigennützigen Interessen nicht für die Verbesserung der Situation im Land nutzen, sondern zum Zwecke der Eigenwerbung in der Periode vor wichtigen politischen Ereignissen (gemeint sind die Präsidentenwahlen 2018, bei denen Navalnyj kandidieren möchte).

Medwedew selbst hat erst einen Monat nach der Veröffentlichung den Film kommentiert. Er hat die Korruptionsvorwürfe zurückgewiesen: „Man sammelt irgendwelchen Quatsch über mich, meine Bekannte und über Menschen, von denen ich nie etwas gehört habe. Es ging nur darum, die Menschen zu Protesten auf die Straße zu locken“.

Die parlamentarischen Oppositionsparteien (Gerechtes Russland und Kommunistische Partei) haben aufgerufen, Ermittlungen durchzuführen, um die Situation zu klären und ggf. zur Verantwortung Personen zu ziehen, die „falsche Informationen verbreiten“. Sie haben den entsprechenden Antrag in der Staatsduma gestellt. Die Regierungspartei "Einiges Russland", die die absolute Mehrheit im Parlamenthat hat, hat jedoch den Antrag abgelehnt. Der Speaker der Staatsduma Vjatscheslav Volodin (Einiges Russland) hält die Ermittlungen nicht für notwendig. Nach seiner Ansicht verbreite der Fond für Korruptionsbekämpfung falsche Informationen und mit der Unterstützung des Antrags unterstütze man Navalnyj.

Mit den Korruptionsvorwürfen gegen Medwedew beschäftigen sich ferner weder die Staatsanwaltschaft noch das Ermittlungskomitee, obwohl sie gemäß dem russischen Strafprozessgesetzbuch eigentlich verpflichtet sein sollten, Ermittlungen aufzunehmen und Vorwürfe zu prüfen (bestätigen oder dementieren). Der Film von Navalnyj hat zwar keine direkten Beweise gegen Medwedew. Er enthält jedoch ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass Straftaten hätte begangen werden können. Medwedew wird direkt vorgeworfen, Korruptionsstraftaten begangen zu haben.

Der Kreml muss nun entscheiden, was er mit dem Antikorruptionsthema machen wird. Ignorieren ist keine Lösung, was die aktuellen Protesten gezeigt haben. Der Sprecher des Präsidenten Peskov sagte, dass man im Kreml nicht dazu neige, die Bedeutung der Proteste zu verkleinern oder zu vergrößern. Den Forderungen der Protestierenden werde Aufmerksamkeit geschenkt.

Den Beobachtern ist ferner aufgefallen, dass zu den Kundgebungen auch junge Leute (Oberstufenschüler, Studenten) gekommen sind. Die Teilnahme der Jugendlichen sowie die Mobilisierungskraft von Navalnyj kam für die Offiziellen unerwartet. Nach Meinung von einigen Politologen hat Navalnyj sehr gut die Stimmung der jungen Generation treffen können. Die jungen Leute haben Sorge um ihre Zukunft. Sie sehen wenig Perspektiven. Und Navalnyj habe ihnen gezeigt, wer ihre Zukunft „gestohlen“ haben soll. Die Offiziellen kümmerten sich um die Jugendlichen in der letzten Zeit dagegen nicht wirklich. Also ist eine neue politische Realität eingetreten.

Was das Schicksal von Medwedew angeht, sind nach Einschätzung von Experten und Navalnyj selbst seine Position durch diesen Film nur verstärkt wurde. Selbst wenn die Korruptionsvorwürfe substantiell sind oder gar die Entlassung längst geplant wäre, werde er nun nicht entlassen. Der Kreml werde auf jeden Fall vermeiden, dass der Eindruck entsteht, dass er auf Druck der außerparlamentarischen Opposition hätte handeln müssen. Medwedew bleibe somit zumindest bis zur Präsidentenwahl 2018 im Amt.

Nach Umfrage des russischen Zentrums für Meinungsforschung „Levada“, die nach den Protesten durchgeführt wurde, fand Medwedew immer noch bei 42 % der Russen Zustimmung (im Februar waren es allerdings 52 %). 57 der Russen bewerten die Tätigkeit des Regierungschefs nun negativ.

Alexej Navalnyj ist russischer Oppositionspolitiker, der seinen Name mit dem Thema der Korruptionsbekämpfung macht. Da die Korruption in Russland eines der größten Probleme darstellt, bekommt er tatsächlich die Aufmerksamkeit und profitieret dadurch politisch. Sein Ziel ist bei der Präsidentenwahl 2018 zu kandidieren.

In seinem Programm sind folgende Punkte: die Korruptionsbekämpfung, eine einmalige Steuer für Oligarchen, um diese mit den anderen gleich zu machen, eine erhebliche Steuererhöhung für Superreichen, Steuerbefreiung für kleine Unternehmen, Erhöhung der staatlichen Ausgaben für Krankenhäuser, Schulen und Straßenbau, mehr Befugnisse für Regionen, Beendigung der Isolation durch die Einstellung der Operationen in Syrien und der Ostukraine (Russland bestreitet die Teilnahme am Konflikt in der Ostukraine), Visumpflicht für die Bürger der Zentralasien, Entmachtung von Siloviki, Gerichtsreform. Die Krim sei nach Meinung von Navalnyj ein Problem, das mindestens Dutzende Jahre ungelöst bleibe. Es schlägt jedoch vor, noch ein Referendum unter internationaler Beobachtung durchzuführen (sowohl Russland mit der Krim als auch die Ukraine sind strikt gegen diese Initiative).

Die Teilnahme an der Präsidentenwahl 2018 wird allerdings für Navalnyj kaum möglich sein. Nach russischem Recht dürfen Personen nicht innerhalb von 10 Jahren nach der Tilgung der Vorbestrafung gewählt werden, falls sie wegen einer schweren Tat (Taten, die mit Freiheitsstraße bis zu 10 Jahren bedroht sind) verurteilt wurden. 2013 wurde Navalnyj wegen einer schweren Tat (Unterschlagung in großem Ausmaß) zu 5 Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. 2016 hat das Europäische Gericht für Menschenrechte festgestellt, dass im Strafprozess gegen Navalnyj seine Rechte verletzt wurden. Das Oberste Gericht Russlands hat daraufhin das Urteil gegen Navalnyj aufgehoben und zum Erstinstanzgericht zurückverwiesen. Das Erstinstanzgericht hat Navalnyj 2017 wieder für schuldig gesprochen. Das Urteil ist  jedoch wegen der Berufung von Navalnyj noch nicht in Kraft getreten. Navalnyj beabsichtigt, wieder bis zum Europäischen Gericht gegen die Verurteilung zu kämpfen. Ob er einen Freispruch erreichen kann, ist zweifelhaft.

Fotoquelle: www.politika.net

Zurück